Verabschiedung Jürgen Lieser
von Niklas Arnegger (Badische Zeitung Freiburg)
FREIBURG, 19. Mai 2011. Jürgen Lieser sitzt auf der Terrasse des Caritasgebäudes in der Freiburger Karlstraße, und der Blick, der einem dort geschenkt wird - der Schwarzwald in jedem Grün, das zum Farbenprogramm des Mai gehört und das Münster - ist bedeutend lieblicher als der auf die Regionen, mit denen Lieser es beruflich zu tun hat. Afghanistan gehört dazu, Afrika, Amerika - fast die ganze Welt.
Lieser, Jahrgang 1948, beendet seine Zeit bei Caritas international. Seit 2001 ist er dort stellvertretender Leiter; 30 Jahre lang hatte er bei der Caritas mit Entwicklungspolitik zu tun. Zuvor hat der gelernte Verwaltungsmann über den Zweiten Bildungsweg Abitur gemacht, Erziehungswissenschaft studiert und schon zwischen Lehre und Studium zehn Jahre bei diversen Entwicklungsorganisationen gearbeitet.
Lieser betreibt seinen Beruf mit Leidenschaft. Er ist dabei ein wacher, analytisch beschlagener und, wenn’s nicht anders geht, auch sturer politischer Kopf. Er weiß genau, dass Katastrophenhilfe und Entwicklungspolitik nicht im politikleeren Raum stattfinden. Im Gegenteil beobachtet er mit Sorge, dass sich seine Arbeit mit dem Trend zu asymmetrischen Kriegen stark verändert hat.
Denn für Lieser wie für Caritas international gilt: "Humanitäre Hilfe wird immer mehr benutzt, um die politische Agenda durchzusetzen. Und wir wären nur noch die nützlichen Idioten der Politik." Das zentrale Thema sei: "Wir müssen gute Hilfe leisten, ohne uns vor den Karren der Politik spannen zu lassen." Es ist dies allerdings ein Spannungsverhältnis, das wohl schwerlich aus der Welt zu schaffen ist. Mit Dirk Niebel, dem derzeitigen Entwicklungsminister, hat Lieser sich deshalb schon in der Wolle gehabt. Denn für Niebel sind die Hilfsorganisationen mehr oder weniger der verlängerte Arm der deutschen Afghanistanpolitik.
Lieser kann sich über dieses Thema ereifern, weiß aber auch, dass eine Hilfsorganisation auch von anderer Seite instrumentalisiert werden kann. Von Aufständischen etwa, deren Warlords sich gern dafür bezahlen lassen, dass Hilfsgüter ins Land dürfen. "Missbrauch gibt es immer", sagt Lieser, auch eine Hilfsorganisation könne scheitern. "Aber dann lernen wir daraus."
Ganz von seinem Beruf will Lieser nicht lassen. Er könne sich vorstellen, Reportagen zu schreiben. Und noch ist er stellvertretender Vorsitzender des Verbands Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen (Venro). "Was der ADAC für die Autofahrer ist, ist der Venro für die Hilfsorganisationen." Dabei soll es noch eine Weile bleiben. Ehrenamtlich ist Lieser - auf einer Bürgerliste - Gemeinderat in Wittnau. Auch dort will er helfen, die Dinge womöglich besser zu machen. Und auch da denkt er nicht immer brav so wie die Obrigkeit.
Er habe, sagt Lieser und nimmt es gleich wieder etwas zurück, ("etwas zu pathetisch"), "ein großes Privileg gehabt. Ich hatte 30 Jahre das Glück, in einer Organisation zu arbeiten, die für die Menschen da ist. Das schafft große Zufriedenheit." Heute findet zu seinem Abschied - auf seinen Wunsch - ein kleines Symposium bei der Caritas statt. Thema? "Die ,Mitleidsindustrie' auf dem Prüfstand." Eine kritische Auseinandersetzung also mit seiner Berufstätigkeit. Nur Sekt, warme Worte und vielleicht das Largo - das wäre nichts gewesen für Jürgen Lieser, der jetzt mehr Zeit hat für sein Hobby Marathonlauf, inzwischen Halbmarathon. Da muss er im Training bleiben.
Mit freundlicher Genehmigung von Niklas Arnegger, Badische Zeitung Freiburg