Wir lernen gemeinsam
Unmittelbar die Straße weiter unten befindet sich die Grundschule Kozas, zwischen Mokolo und Mozogo in Nordkamerun an der nigerianischen Grenze gelegen. Unser Fahrer lenkt den Wagen auf den Schulhof und hält unter einem großen Mangobaum, der kühlen Schatten spendet. Wir steigen aus, ich sehe links von uns einen Betonbau, rechts Konstrukte aus Planen mit Holz und Stroh – Kinder lugen aus allen Ecken hervor und begutachten uns neugierig. Der Schuldirektor kommt auf uns zu und begrüßt uns freundlich mit einem festen Händedruck.
Kinderschutz fängt mit der Geburtsurkunde an
Unsere Partnerorganisation Caritas Maroua-Mokolo unterstützt diese Schule primär mit notwendigem Schulmaterial und Trainings für Eltern und Lehrer im Bereich Kinderschutz. Außerdem hilft sie bei der Erstellung von Geburtsurkunden, die bei Flucht und Vertreibung oft verloren gehen, für jeglichen administrativen Prozess aber unabdingbar sind; 262 davon konnten schon ausgestellt werden. Der Direktor erklärt uns weiter, dass insgesamt 1166 Schüler diese Schule besuchen, davon 390 Binnenvertriebene. Eine Lehrkraft unterrichtet zirka 110 SchülerInnen in einer Klasse. Er erklärt uns, dass es, trotz der unentbehrlichen Hilfe seitens der Caritas, an essentiellen Dingen fehle. An Bänken bspw. – an einer Bank für drei Schüler sitzen teilweise bis zu sechs SchülerInnen. Und insgesamt gibt es nur sechs Räume, eigentlich bräuchte man aber 16. Außerdem fehle es an Büchern und Schreibmaterialien. Meist müssen die Kinder teilen.
Trotz des vorherrschenden Mangels an Materialien, spüren wir tiefe Dankbarkeit für die wenige Hilfe, die schon geleistet worden ist. Der Direktor führt und in die einzelnen Klassen. Wir werden herzlich empfangen. Die Kinder singen und klatschen, als wir das Klassenzimmer betreten. Mein Kollege Volker Gerdesmeier bekommt einen Blumenstrauß in die Hand gedrückt und wird gebeten neben den Kindern auf einer der Schulbänke Platz zu nehmen. Hochgewachsen wie er ist, ragen seine Knie an der Seite der Bank heraus – wie lachen alle herzlich. Die Kinder führen uns stolz vor, was sie schon gelernt haben, einmal auf Französisch, einmal auf Englisch. Bilingualismus wird hier sehr gefördert – der Direktor bestärkt, wie wichtig es sei, dass alle Kinder beide Landessprachen gleichsam lernen. Angesichts des vorherrschenden Konflikts im Süden des Landes (frankophon vs. anglophon) ist diese eine lobenswerte und präventive Maßnahme. Unser Kollege Edourad Kaldapa von Caritas Maroua-Mokolo zeigt uns die frisch entworfenen Bücher. Sie sind kontextgerecht konzipiert. So sehen wir bspw. Erklärung zu „How to prepare your meals“ bzw. „Comment préparer votre plates“. „Cook it, boil it, peal it or leave it“ ist schon fest bei den Kindern verankert.
Harmonisches Miteinander - für eine friedliche Zukunft
Wir gehen von Klassenzimmer zu Klassenzimmer. Immer wieder das gleiche Bild: Kinder, die uns freudestrahlend begrüßen, klatschen und singen. Binnenvertriebene lernen zusammen mit den Einheimischen. Es ist ein harmonisches Miteinander zwischen den Kindern zu spüren, fern von jeglicher Art an Diskriminierung. Wir gelangen an ein „Kassenzimmer“ unter einem Baum – es hat einen gar idyllischen Eindruck, das Bild des „Lernens im Freien“ – aber leider mangelt es lediglich an Klassenräumen. Wir gelangen in die letzte Klasse – die Jüngsten, zwischen vier und fünf Jahren alt. Sie lernen gerade lesen – beeindruckend führen uns zwei von ihnen die Buchtstaben mithilfe eines Zeigestocks an der Tafel vor. Wir klatschen ihnen begeistert zu.
Der Direktor fragt die Kinder im Anschluss, wer von ihnen binnenvertrieben sei – zehn von ihnen stehen etwas beschämt auf. Dann fragt er weiter: „Wer von Euch hat einen Familienangehörigen, wie Vater oder Mutter, durch den Boko Haram Konflikt verloren?“ Sieben von ihnen heben die Hand. Sieben Kinder zwischen vier und fünf Jahren haben mindestens eines ihrer Elternteile verloren und das durch einen Konflikt, mit dem sie rein gar nichts zu tun haben. Trotz der immensen Verluste, die diese Kinder schon in so jungen Jahren erfahren mussten, spüren wir, dass hier etwas ganz Großartiges stattfindet: gemeinsames Lernen, das den Kindern hilft vorauszuschauen. Vorausschauen in eine hoffentlich friedlichere Zukunft.