Bangladesch: Nothilfe für die Rohingya
„Die Kinder leiden am meisten – sie brauchen besonderen Schutz“
Was zeichnet die "kinderfreundlichen Zonen" im Flüchtlingslager aus?
Lawrence: Kinder leiden am meisten unter negativen Erfahrungen, weil sie noch keine Abwehrmechanismen haben. Sie brauchen besonderen Schutz. Deshalb haben wir kinderfreundliche Bereiche innerhalb des Flüchtlingslagers geschaffen (auf Englisch: Child Friendly Spaces), in denen sie ihre psychischen Belastungen reduzieren können. Wir halten es für entscheidend, gerade diesen Kindern eine psychosoziale Betreuung zukommen lassen.
Welche Aktivitäten unternehmen Sie mit den Kindern?
Das hängt natürlich vom Alter ab. Wir begleiten Kinder zwischen drei und 14 Jahren. Im Grunde kann man es so zusammenfassen: Es wird viel gespielt, viel erzählt, gebastelt und gemalt, die Kinder schließen Freundschaften untereinander. Mit Kindern ab sechs Jahren betreiben wir auch ein Minimum an Bildung, weil es im Lager ja keine Schulen gibt. Dazu gehören auch Bewusstseinsbildung in Gesundheits- und Hygienefragen.
Collins Lawrence beim Erklären des von der Caritas angewandten Erziehungskonzepts.Foto: Caritas international
Arbeiten Sie mit den Kindern dabei auch die Traumata auf, die sie durch die Gewalttaten in Myanmar erfahren haben?
Ein Kind darauf anzusprechen, würde bei ihm eine Retraumatisierung bewirken. Das wollen wir vermeiden. Die Kinder drücken ihre negativen Erlebnisse – wenn sie nicht von selbst davon erzählen, was es gelegentlich auch gibt, – oft durch Bilder aus. Viele zeichneten anfangs noch weinende Frauen oder Maschinengewehre und wählten graue und schwarze Farbtöne. Heute sind ihre Bilder viel farbenfroher und haben freundlichere Motive, die Sonne etwa, Bäume, einen Garten und Familienleben. Man kann also auch an den Zeichnungen den psychischen Fortschritt sehen, den die Kinder machen.
Wenn ein Kind bei den Aktivitäten in der Gruppe sehr in sich zurückgezogen ist, wissen wir, dass es eine besondere individuelle Betreuung braucht. Unser psychosoziales Team nimmt sich dann diesem Kind individuell an und arbeitet psychologisch mit ihm und seiner Familie.
Sie sprachen Bildungsmaßnahmen an. Nach welchem Konzept arbeiten Sie dabei?
Wir arbeiten nach einer Methode, die aus der Schweiz kommt und international als „Essence of Learning“ (Essenz des Lernens) bekannt ist. Dies ist eine ganzheitliche Erziehungsmethode speziell für Kinder, die in Krisensituationen aufwachsen, und die besonders bei Flüchtlingskindern eingesetzt wird. Sie verbindet pädagogische und psychosoziale Komponenten mit dem Ziel, die Kinder zu stärken, damit sie ihre schwierige Lebenssituation ohne bleibende Beeinträchtigungen überstehen, Blockaden abbauen und ihre Lernfähigkeiten neu beleben. Man hat mit dieser Methode bereits in vielen Ländern große Erfolge erzielt. Ich bin zuversichtlich, dass uns das auch gelingt, denn alle unsere Erzieher(innen) und Lehrer(innen) werden in dieser Methode geschult.
Das Interview führte Stefan Teplan im September 2019