Griechenland: Not auf der Flucht lindern
Hoffen auf eine Zukunft ohne Gewalt: Die junge Zohra Amyridar im Flüchtlingscamp Kara Tepe auf der griechischen Insel Lesbos.Bente Stachowske Caritas international
„Wir waren so müde von all der Gewalt. Immer wieder gab es Anschläge – auf Märkte, auf Schulen, auf Universitäten. Wenn meine Kinder nur fünf Minuten zu spät nach Hause kamen, war ich panisch. Wenn ich einkaufen ging, konnte ich nicht sicher sein, ob ich zurückkehre. Ob ich meine Kinder noch versorgen kann“, erzählt die 32-Jährige. Über den Iran floh die Familie in die Türkei. Von der türkischen Küste aus wagten sie die kurze, aber lebensgefährliche Überfahrt nach Lesbos. „Mein Mann trug keine Rettungsweste und saß auf dem Rand des Schlauchbootes. Ich hatte solche Angst, dass er ins Wasser fällt.“
Neue Angst um die Kinder statt ein Leben in Sicherheit
Lesbos ist einer der ersten Anlaufpunkte für Geflüchtete aus dem Nahen Osten und Zentralasien – die meisten von ihnen stammen aus Afghanistan. Wie alle Neuankömmlinge wurde auch Familie Amyridar in das Flüchtlingslager Moria gebracht, ein sogenannter EU-Hotspot. Dort werden die Geflüchteten registriert und müssen ihren Asylantrag stellen. Weil zu wenig Beamte vor Ort sind, kann das Monate, manchmal Jahre dauern. Erst dann wissen die Betroffenen, wie es für sie weitergeht: Ob sie auf das griechische Festland gebracht werden, ein anderes EU-Land sie aufnimmt oder ob sie zurück in die Türkei müssen.
Als Familie Amyridar auf Lesbos ankommt, ist das offizielle Flüchtlingslager überfüllt. Nur im angrenzenden Olivenhain ist noch Platz. Mit einer anderen sechsköpfigen Familie bewohnen sie ein kleines Zelt. „Es war kalt, es hat geregnet und wir hatten nur selten Strom. Unser Zelt war undicht, irgendwann ist es unter dem Regen zusammengebrochen.“ Nur ungern erinnert sich Zohra Amyridar an die Zeit in Moria. „Vor allem nachts kam es oft zu brutalen Streitereien, einmal wurde unser Zelt aufgeschlitzt. Wir hatten so große Angst, um unsere Kinder, dass wir kaum geschlafen und die Nächte hindurch Wache gehalten haben.“
Rückkehr zu ein bisschen Normalität
Unbeschwerter unterwegs: Zohra Amyridar mit ihrem Mann und den vier gemeinsamen Kindern beim Spaziergang auf Lesbos. Secours Catholique (Caritas Frankreich)
Aber Familie Amyridar hatte Glück. Nach sechs Wochen wurde sie als „besonders schutzbedürftig“ eingestuft und in das nahe gelegene Camp Kara Tepe gebracht, wo die Lebensumstände deutlich besser sind. Als eine von elf Hilfsorganisationen versucht die Caritas Hellas dort den geflüchteten Menschen so etwas wie einen Alltag zu verschaffen. „Ich besuche montags und mittwochs den Griechischunterricht, stricke am Dienstag im Frauentreffpunkt, besuche Vorträge und mache Yoga“, erzählt Zohra Amyridar. „Ich möchte die Zeit nutzen, um so viel wie möglich zu lernen.“ Ihre Kinder werden morgens in der Schule des Camps unterrichtet. Am Nachmittag nimmt die 13-jährige Mehjooda Klavier- und Computerunterricht, während die elfjährige Zolnoorianer in der Fußballmannschaft spielt.
Wenn die Kinder das Erlebte nur vergessen könnten
Doch auch wenn vieles in Kara Tepe gut ist, die Erinnerungen bleiben. Jeden Abend möchte Naasir, der Jüngste in der Familie, die Geschichte ihrer Flucht hören. Wie sie in mehr als 20 Stunden die iranischen Berge zu Fuß überquerten, wie schlecht sie die Schmuggler behandelten, wie es galt, still zu sein, damit die Grenzpolizei sie nicht entdeckte. „All das Schreckliche, was man erleben kann, hat mein dreijähriger Sohn bereits erfahren.“ Zohra Amyridar spricht mit leiser Stimme. „Manchmal fühle ich mich schuldig. Ich wünsche mir so sehr, dass er das eines Tages vergessen kann. Ich habe keine Ahnung, was die Zukunft für uns bereithält. Ich kann nur das Beste hoffen.“