Der Wirbelsturm "Matthew" traf Haiti ins Herz, als er an zwei Oktobertagen 2016 über das Land der Karibik fegte. Er richtete verheerende Schäden an. An manchen Orten hatte der Sturm keinen Stein auf dem anderen gelassen. Wasser- und Stromnetze funktionierten nicht mehr, zerstörte Straßen erschwerten die Versorgung der Bevölkerung. Durch die schweren Regenfälle, die auf einen tropischen Wirbelsturm in aller Regel folgen, kam es zu weiträumigen Überschwemmungen. Nahezu Vierfünftel der Ernten wurden vernichtet, viele Menschen verloren ihr Vieh. Bis heute haben sich viele Familien von den Verlusten und Schäden, die sie nach Matthew erlitten hatten, nicht erholt.
Armenviertel in Port-au-Prince: Mit jedem Tropensturm drohen schwere Regenfälle und damit verschlechtert sich die Wohnsituation der Menschen in den Slums. Politisch unruhige Zeiten und Corona zehren an ihren Kräften.Lena Mucha
Haiti liegt in der Wirbelsturmschneise in der Karibik. Fast jedes Jahr wird die weitgehend arme Bevölkerung von Überschwemmungen, Erdrutschen und dem Abtrag der fruchtbaren Ackerbodens getroffen. Leider existieren für die ländliche Bevölkerung Haitis so gut wie keine Frühwarnsysteme oder Evakuierungspläne. Krankenhäuser oder Wasser- und Abwasserversorgung sind kaum vorhanden. Die intensive Abholzung und eine nicht an die Gefahren der Stürme und Fluten angepasste Landwirtschaft sorgen für erodierende Böden und verstärken so die Risiken einer Katastrophe. Die Caritas arbeitet vor Ort mit den Partnern daran, das zu ändern: mit einer nachhaltigen Katastrophenvorsorge.
Caritas Mitarbeiterin Carmen Marquez mit im Gespräch mit Lucien Delcame (42) in der Gemeinde Fond Tortu. Regelmäßig wird das Dorf aufgesucht, um alle Elemente der Katastrophenvorsorge zu erörtern.Lena Mucha / Carita international
Wer sich besser auskennt, kann sich besser schützen
Die Gemeinden werden mittels Notfallplan und Katastrophenkomitees besser auf Naturgewalten vorbereitet. Zur Katastrophen-Frühwarnung wird eine Funkanlage installiert. Wöchentliche Radiosendungen informieren zu Themen wie Vorsorge, Umweltschutz und Choleravorsorge. Ein weiteres zentrales Element der Katastrophenvorsorge in Haiti sind lokale Katastrophenkomitees - Teams aus Freiwilligen, die sich vor Ort gut auskennen. Die Mitglieder der Komitees werden für den Ernstfall professionell geschult und entwickeln gemeinsam Frühwarnsysteme und Notfallpläne, die bei der Koordination in der Krise helfen. Die Arbeit der Komitees ist mit der staatlichen Zivilschutzbehörde abgestimmt.
Zu der Katastrophenvorsorge gehört auch ein sogenanntes "Cash-for-Work Programm" der Caritas. Gemeinschaftlich reparieren die Menschen Böschungen, Erosionsschluchten und Wege - und bekommen dafür Geld von der Caritas. Auf diese Weise werden im Laufe der kommenden Jahre Steinschwellen auf 4.000 Quadratmetern und Erosionsschluchten auf 12.000 Quadratmetern instandgesetzt, zudem rund 20 Kilometer wichtige und teils zerstörte landwirtschaftliche Wege. Ziel ist es, die Menschen vor Erdrutschen zu schützen und sicherzustellen, dass die Dörfer im Katastrophenfall versorgt werden können.
Mit dem Lohn, den die Teilnehmenden auf den Erosionsschutz-Baustellen verdienen, können sich die Familien Nahrungsmittel auf dem Markt kaufen oder die Schulgebühren ihrer Kinder bezahlen. Besonders arme und verwundbare Familien erhalten eine finanzielle Unterstützung ohne Gegenleistung.
In dem Dorf Rivière Salée diskutiert ein Freiwilliger, der zusammen mit der Gemeinde eine Ravine befestig hat, mit dem Personal der Caritas Nippes. Die Befestigung der Ravinen, steil abfallener Schluchten, ist Teil der Katastrophenvorsorge im Südwesten Haitis.Lena Mucha
Klimawandel und Ernährung mitdenken
Die Katastrophenschutz-Projekte der Caritas Haiti sind vorbildhaft und werden in anderen gefährdeten Regionen gerne nachgeahmt. Mithilfe der Caritas konnte nach Wirbelsturm Mathew zügig ein wichtiger Teil der Ernährung gesichert werden, indem die Mitarbeitenden Saatgut für schnell wachsendes Gemüse verteilten und die Menschen in dessen Anbau schulten. Doch auch außerhalb von Katastrophen führt die Caritas in Nippes Workshops zu Ackerbau, Viehzucht und Erosionsschutz durch. Auf Musterparzellen zeigen die Caritas-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der teilnehmenden Landwirten, wie sie ihre Anbaumethoden an den Klimawandel anpassen können und erarbeiten mit ihnen Pläne für eine nachhaltige Daseinsvorsorge.
Einige Familien bearbeiten künftig sogar gemeinsam ihre Ackerflächen und schließen sich zu Solidarkassen zusammen. Die Mitglieder der Kassen erhalten günstige Kredite, mit denen sie sich wiederum neue landwirtschaftliche Geräte kaufen oder die Schulgebühren ihrer Kinder bezahlen können. So ist für ihr wirtschaftliches Überleben im Krisenfall gesorgt.
Die Vorsorge trägt Früchte und rettet Leben
Dass all diese Maßnahmen der Katastrophenvorsorge Früchte tragen, zeigte sich 2021 gleich zweimal: beim Wirbelsturm Elsa und dem Erdbeben im August. In der Gemeinde Petite-Rivière kam es beim Durchzug des von Elsa trotz erheblicher Sachschäden zu keinem einzigen Todesfall. Damit wurde deutlich, wie gut die Sensibilisierung und die Schulungen in Erster Hilfe greifen. Im Département Nippes, das von dem Erdbeben schwer getroffen wurde, funktionierte die Koordination der Bergungs- und Aufbauarbeiten durch die Katastrophenschutzkomitees gut und rettete Leben. Auch waren zu diesem Zeitpunkt zwei Schutzgebäude der Caritas fertiggestellt worden, in denen über 500 Menschen Zuflucht fanden und versorgt wurden.
Hurrikan Matthew
"Matthew" war 2016 der gewaltigste Wirbelsturm, der seit Jahrzehnten an der Ostküste des amerikanischen Kontinents wütete. Am stärksten traf er am 4. und 5. Oktober 2016 den Südwesten Haitis und löste dort die schwerste humanitäre Krise seit dem verheerenden Erdbeben 2010 aus. Rund 1.000 Menschen verloren bei der Katastrophe ihr Leben. Unmittelbar nach dem Sturm benötigten 1,4 Millionen Menschen humanitäre Hilfe. Mancherorts wurden bis zu 90 Prozent der Gebäude zerstört oder beschädigt. Es gab massive Zerstörungen an den Infrastrukturen wie Straßen, Wasser- und Stromnetz. Gemäß dem nationalen Katastrophenschutz waren im Département Nippes mehr als 57.000 Familien von Sturmschäden getroffen. Allein hier wurden 22.660 Häuser komplett zerstört, viele weitere unbewohnbar. Schwer wog hier auch die Zerstörung der Landwirtschaft: In manchen Regionen wurden mehr als 80 Prozent der Ernten vernichtet. Damit war die Ernährung der
Klimadossier
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