„Wir werden wohl noch lange hier bleiben“
„Dieses Lager ist nur eines von vielen hier. Ich nenne es Dauer-Campingplatz, weil wir syrische Flüchtlinge schon seit acht Jahren hier sind. Und wohl auch noch lange Zeit hier bleiben werden.“, erzählt Mustafa Nur (*Name geändert). Camping-Platz ist in diesem Fall wohl ein Euphemismus. Es gibt kein fließendes Wasser. Keinen Strom. Und der Ausdruck Zelt für die Behausungen, in denen die syrischen Familien hier in fremdem Land leben, wäre auch stark übertrieben. Verschlag wäre eine treffendere Bezeichnung. Die Menschen leben hier zwischen Plastikplanen, die sie über einige Pfosten aus Holz gestülpt haben. Die „Wände“ und „Dächer“ flattern im Wind, während Mustafa mit mir spricht. Sein neunjähriger Sohn Rahid holt gerade Wasser vom Brunnen, der einzigen Wasserquelle rundum.
„Braucht Ihr das zum Kochen?“, frage ich das Kind.
„Das auch“, antwortet der. „Aber jetzt gerade zum Duschen.“
Die einzige Möglichkeit, so erfahre ich, sich im Camp zu waschen und zu duschen, ist, sich einen Eimer Wasser zu holen und sich dieses über den Körper rinnen zu lassen. Da muss Rahid noch oft zum Brunnen laufen: Er hat noch sechs Geschwister.
Ein Zelt als bessere Alternative
Könnten Mustafa und seine Familie nicht komfortabler leben nach all den Jahren? Sind doch von den rund 1,2 Millionen syrischen Flüchtlingen im Libanon (jeder vierte Bewohner des Landes ist ein Flüchtling!) viele in Privatwohnungen untergekommen, die sie anmieten. „Das könnten wir, sicher“, meint Mustafa. „Aber das hätte auch Nachteile. Fast jeder Flüchtling aus Syrien lebt hier nur von Tagelöhner-Arbeiten. So wie ich auch. Und die Mietpreise steigen. Deswegen leben oft 20 Personen in einer einzigen Wohnung. Hier in unseren Zelten im Durchschnitt sind es nur fünf bis sechs in einem Zelt. Da haben wir hier ja noch mehr Platz. Und außerdem können viele die oft notwendigen Reparaturen in den Wohnungen nicht bezahlen. Glauben sie mir, die 400 Menschen, die auf diesem Camping-Platz leben, wissen schon warum.“
Doch auch die Flüchtlinge in dem Camp bei Zahlé und in vielen anderen könnten ohne die Hilfe der Caritas Libanon nur schwer überleben. Die Caritas verteilt an die Bedürftigsten – vor allem alleinerziehende Mütter, Menschen mit einer Behinderung und ältere Menschen – Lebensmittelgutscheine, versorgt sie mit Haushaltswaren und Hygieneartikeln. Außerdem fördert sie die medizinische Versorgung der Flüchtlinge und die Schulbildung der Kinder. Das ist auch Mustafa wichtig: Seine Kinder, sagt er, hätten aufgrund des Krieges in Syrien keine Perspektiven auf eine bessere Zukunft, wenn sie nicht im Libanon die Schule besuchen könnten.
Für viele ist eine Rückkehr nicht möglich
Aber der Krieg in Syrien ist vorbei. Wäre nun nicht die Möglichkeit da, in das Heimatland Syrien zurückzukehren? Die einheimische Bevölkerung Libanons konfrontiert die in ihrem Land lebenden Syrer und Syrerinnen mehr und mehr mit dieser Frage. Hat doch die große Zahl der Flüchtlinge zu enormen Spannungen geführt, weil sie die Preise im Niedriglohn-Sektor auf dem Arbeitsmarkt drücken, weil Mieten und viele Waren immer teurer werden. Und immerhin leben auch etwa eine Million Libanesen in bitterer Armut. Die Caritas bezieht daher, um solchen Unfrieden zu lindern, in die Hilfen für Flüchtlinge auch immer Hilfen für die lokale Bevölkerung ein.
Doch ist, wie Mustafa erklärt, eine Rückkehr in ihre Heimat für viele Syrer und Syrerinnen unmöglich: „Besonders viele von uns Männer können nie mehr zurück. Es droht, dass sie in Syrien sofort zum Militär eingezogen werden. Vielen droht aber auch noch mehr: Gefängnis, weil sie als Deserteure oder Oppositionelle gelten. Das bedenken die, die uns gerne heimschicken würden, nicht.“
Sicherheitslage in Syrien weiter angespannt
Als Mustafas Sohn Rahid ein weiteres Mal mit einem Eimer zum Brunnen läuft, kommen Mustafa noch ganz andere Bedenken: „Ich habe Verantwortung für sieben Kinder und eine Frau. Wie könnte ich es da riskieren, dass sie mich in Syrien einziehen? Und außerdem: Wovon sollen wir leben, wenn in unserem Heimatland die Infrastruktur zerstört ist? Wenn unsere Dörfer zerbombt sind und unsere Häuser nicht mehr stehen? Und noch eins: Wissen wir, dass wir der Sicherheitslage dort inzwischen trauen können?“
Fragen über Fragen, auf die es für Mustafa allesamt nur eine Antwort gibt: „Wie ich schon am Anfang unseres Gesprächs sagte: Wir werden wohl noch lange hier bleiben.“
Stefan Teplan, Juni 2019