Ernährungskrisen in Zeiten des Klimawandels
von Martina Backes und Susann Reiner
In Dürregebieten wie im Südsudan bringen die Felder kaum mehr Erträge. Die Landwirtin Mary Okoye sucht an den Feldrändern nach verwertbaren Wildkräutern.David Mutua
Der UN-Bericht über die globale Ernährungslage 2020 stellt fest: Der Klimawandel ist ein treibender Faktor für den plötzlichen Anstieg der Zahl an Menschen, die Hunger leiden1. Aufgrund von Klima- und Naturkatastrophen war im Jahr 2018 für 29 Millionen Menschen die Ernährung nicht mehr gesichert. 23 Millionen davon leben auf dem afrikanischen Kontinent, der von Klimaschocks besonders betroffen ist (laut FSIN - Food Security Information Service 2019). 2,3
Der Weltklimarat schätzt in seinem vierten Sachstandsbericht, die Unterernährung in Afrika südlich der Sahara würde selbst beim optimistischen Szenario einer Temperaturerhöhung von nur zwei Grad Celsius um 25 bis 29 Prozent zunehmen. Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen schreibt, dass mindestens 80 Prozent der Menschen, die Hunger leiden, an Orten leben, die von Naturkatastrophen und Umweltzerstörung betroffen sind. Die Humanitären Hilfswerke haben entsprechend häufig mit Nahrungskrisen in Regionen zu tun, die von klimatischen Härten getroffen sind.
Klimawandel verstärkt Ernährungskrisen
Zwar ist das Recht auf angemessene Ernährung längst ein verbrieftes Menschenrecht, doch sind nach wie vor viele Menschen trotz global wachsender Agrarflächen und Ernten von Hunger, Mangelernährung und daraus resultierenden Krankheiten betroffen. Inzwischen prognostizieren Expertenkreise, dass die absolute Zahl der Menschen, die an Hunger und Mangelernährung leiden - 2019 rund 690 Millionen Menschen - weltweit künftig noch weiter zunehmen könnte. Die Hotspots liegen derzeit in Haiti, Simbabwe, Sambia und in der Zentralafrikanischen Republik, wo jeweils fast jede zweite Person von Hunger oder Mangelernährung betroffen ist. In Angola, Nordkorea und Tschad ist es je ein Drittel der Bevölkerung. Rund zwei Milliarden Menschen leben in einem moderaten bis ernsthaften Zustand von Nahrungsunsicherheit4: Für sie ist eine gesunde und ausgewogene Ernährung nicht gegeben und die Gefahr von Hunger omnipräsent.
Ursachen für Hungerkrisen liegen oftmals in den lokalen politischen Verhältnissen und der Tatsache, dass ganze Bevölkerungsgruppen weder Land noch Geld besitzen. Hinzu kommen Kriege und Konflikte wie aktuell im Jemen oder in der Zentralafrikanischen Republik sowie Handelshemmnisse wie Einfuhrquoten, die es Bauern im Globalen Süden erschweren, angemessene Preise für ihre Produkte zu erzielen. Weil nicht zuletzt die Spekulation und der Handel mit Nahrungsmitteln an den Börsen zu steigenden Preisen führen, kann Nahrung - obwohl global ausreichend vorhanden - lokal knapp sein oder für Menschen in Armut unbezahlbar werden. Die schädlichen Folgen des Klimawandels für die Landwirtschaft verschärfen diese vielschichtigen Armuts- und Hungerrisiken nun noch.
Wie der Klimawandel die Landwirtschaft gefährdet
Senegal: Reisernte in Kaguitte in der Casamance - die Ernte der Kornkammer des Senegal leidet aktuell unter dem Salz, das sich mit dem Klimawandel in den Böden anreichertFabrice Taurines
Der Einfluss sich verschiebender Klimazonen und Regenzeiten auf die Ernährungskrisen ist offensichtlich: Langanhaltende Dürren, Fluten sowie häufiger auftretende und heftigere Wirbelstürme vernichten Ernten und Saatgut oder dezimieren Viehbestände. Wiederholen sich solche Krisen, steigt die Gefahr von Hunger und Fehlernährung - wie etwa in Nordkenia und Somalia. Besonders gefährdet sind dabei sozial schlecht oder gar nicht abgesicherte Menschen. Beispielsweise weisen in Guatemala, wo sich der Trockengürtel ausgedehnt und Ernten seit Jahren immer knapper ausfallen, bis zu 35 Prozent der hier lebenden Kinder unter fünf Jahren Wachstumsstörungen infolge von Mangelernährung auf.
Äthiopien: Die Dürre gefährdet auch die Tierherden. Das Klima und die Lebensbedingungen in Äthiopien werden immer extremer: Immer länger andauernde Dürren, häufig gefolgt von Starkregen und Überschwemmungen, fordern den Menschen vieles ab. Oft finden die Haustiere nicht mehr genug Futter. Dann müssen die Hirten immer weitere Wege zurücklegen, auf der Suche nach Wasser und Weiden. Bente Stachowske / Caritas international, 2017
Laut Weltagrarbericht 2017 waren in 34 von 51 Ländern mit Ernährungskrisen Extremwetterereignisse dafür ausschlaggebend. In Kambodscha beispielsweise funktionieren die von Generation zu Generation weitergegebenen Reisanbaumethoden wegen der extremen Klimaveränderungen nicht mehr. Während der Monsunzeit überfluten immer größere Wassermassen die Landschaft, während der Trockenzeit mangelt es dagegen oft an Wasser für den Anbau der Nutzpflanzen. Für die Bevölkerung Kambodschas eine prekäre Situation, denn etwa 70 Prozent der Menschen leben von der Agrarwirtschaft.
Nicht weniger umfassend und gravierend als die skizzierten Ernteeinbußen und Verluste an Vieh sind die indirekten Folgen des Klimawandels. Missernten können zur Verknappung und folglich Verteuerung von Lebensmitteln und Saatgut führen, was kleinbäuerliche Familienbetriebe ebenso trifft wie Millionen von Landarbeitern und Landarbeiterinnen, die für größere Agrarbetriebe tätig sind. Das Wissen über standortgerechte Anbaumethoden und die Kultivierung von Land, über die Vieh- und Weidewirtschaft sowie über das lokal sinnvolle Wassermanagement verliert an Bedeutung, wenn sich die klimatischen Bedingungen radikal ändern.
Wie die Landwirtschaft den Klimawandel forciert
Die Landwirtschaft leidet also unter den Folgen des Klimawandels, umgekehrt hat aber insbesondere ihre ressourcenintensive und industrialisierte Form selbst immense schädliche Folgen für das Klima. Laut der Welternährungsorganisation FAO gehen ein Viertel aller Klimagase auf landwirtschaftliche Aktivitäten zurück.5
Die Nichtregierungsorganisation Grain beziffert den Anteil der globalen Lebensmittelwirtschaft an der Klimabelastung gar auf 50 Prozent - berücksichtigt man die Produktionskette von der Aussaat bis zum Teller. Klimaschädliche Treibhausgase werden durch die industrielle Produktion und Verwendung von Agrarrohstoffen wie chemische Dünger ausgestoßen und entstehen bei der Verarbeitung von Lebensmitteln etwa zu Tiefkühlpizzen und anderen Fertiggerichten. Und auch das Abholzen von Wäldern und die Zerstörung von Torfflächen für den Anbau von Soja, Zucker, Mais oder Palmöl hat Grain mitkalkuliert. Des Weiteren verbraucht die industrialisierte Landwirtschaft fossile Energie für den Betrieb von Landmaschinen und stößt als Folge der Massentierhaltung klimaschädliche Gase wie Methan und Lachgas aus. Schließlich verschlechtern auch Transport, Verarbeitung und Kühlung von Nahrungsmitteln sowie die Verschwendung der Lebensmittel, die auf der Müllhalde landen6, die Klimabilanz der industrialisierten Nahrungsmittelproduktion.
Ein wichtiger Indikator der Klimabilanz ist der Zustand der Böden: Wenn Böden ausgelaugt werden durch intensive Bewirtschaftung, entweicht dabei auch der im Humus gebundene Kohlenstoff. Wer also den Klimafußabdruck etwa eines Masthühnchens berechnet, muss auch das in Intensivlandwirtschaft produzierte Tierfutter auf Sojabasis einkalkulieren. Selbst ein Müsliriegel kann ähnlich negative Werte aufweisen, wenn er mit Datteln und getrockneten Mangos produziert wurde, die lange Transportwege hinter sich haben, und Palmöl aus überseeischer Plantagenwirtschaft enthält.
Krisenanfälliges Grundrezept
Das Grundrezept der klimabelastenden industriellen Landwirtschaft ist denkbar einfach: Weizen, Reis, Mais, Zuckerrohr, Soja und Palmöl sind die wenigen Hauptzutaten der nicht nur ernährungsphysiologisch einseitigen Mahlzeiten. Sie werden auf gut 80 Prozent des weltweiten Ackerlandes mit industriellen Methoden - und damit klimabelastend - angebaut.
Ein weiterer Risikofaktor für Klima und Ernährung ist die Konkurrenz zwischen Tank, Teller und Futtertrog. Ein Großteil der in den vergangenen Jahren für die Agrarwirtschaft erschlossenen Landflächen ist für den ressourcenintensiven Anbau von Kraftfutter und Biomasse für die Energiewirtschaft - etwa Palmöl und Zuckerrohr - reserviert. Der Hunger nach Land dieser Sektoren ist immens, ihr Klimafußabdruck meist miserabel. Weiden für den Anbau nachwachsender Rohstoffe umzubrechen und Wälder für sie zu roden, trägt maßgeblich dazu bei, dass die Landwirtschaft zum Klimakiller wird. (siehe Kasten links).
Potenziale für einen Wandel nutzen
Eine Lösung der Klimakrise benötigt also eine andere Landwirtschaft. Zahlen aus dem Bericht des Weltklimarates unterstreichen das: Während die Erosion von Böden infolge landwirtschaftlicher Nutzung 78 Gigatonnen Klimagase in die Atmosphäre entlassen hat, kann die Regeneration landwirtschaftlicher Böden bis zu 51 Gigatonnen Kohlendioxid binden. Entscheidend ist, wie das Land bewirtschaftet wird. Eine klimaschonende und ökologisch angepasste, standortgerechte Landwirtschaft ist somit ein zentraler Aspekt auch der Katastrophenvorsorge in der Humanitären Hilfe, weil sie einerseits die Ernährung sichern kann und andererseits langfristig positive Auswirkungen auf das Klima hat.7 Ein Strukturwandel der Landwirtschaft hin zu klimabewussten Anbaumethoden braucht vor allem eins: den politischen Willen dazu.
1 The State of Food Security and Nutrition in the World (SOFI), Bericht der Welternährungsorganisation 2020: http://www.fao.org/3/ca9692en/online/ca9692en.html#
2 https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/IP_19_1913
3 www.csis.org/analysis/climate-change-and-food-security-test-us-leadership-fragile-world
4 Nach FIES (Food Insecurity Evaluation System),
siehe Food Security Information Network 2019.
5 Laut einer Studie des WWF kann der Klimafußabdruck (also pro Person und Jahr) unserer Ernährung in Deutschland um über 270 kg CO2-Äquivalente reduziert werden, wenn wir vermeidbare Nahrungsmittelverluste abstellen würden. WWF 2015: Das große Wegschmeißen. Vom Acker bis zum Verbraucher - Ausmaß und Umwelteffekte der Lebensmittelverschwendung in Deutschland.
6 Christiane Grefe, Global Gardening. Bioökonomie - Neuer Raubbau oder Wirtschaftsform der Zukunft? Verlag Antje Kunstmann, München 2016.
7 https://eatforum.org/eat-lancet-commission/
Quelle: Im Fokus - Klimawandel und Humanitäre Hilfe (Seite 22-24), September 2020
Der Klimafußabdruck des Essens
Die Klimabelastung durch den Fleischkonsum aus Massentierhaltung ist immens: Laut Fleischatlas 2018 steigt der Anteil des Fleisch- und Milchsektors an den klimaschädlichen Gasen von aktuell 14 auf über 30 Prozent im Jahr 2030 und auf mehr als 80 Prozent im Jahr 2050, wenn der Trend der vergangenen Jahre anhält. Nutztiere fressen heute nicht mehr nur Gras oder Heu, sie sind Nahrungskonkurrenten für den Menschen, da sie mit Kraftfutter aus Getreide, Soja oder Fischmehl gemästet werden. Derzeit werden 36 Prozent der weltweiten Getreideernte an Tiere verfüttert und sogar 70 Prozent der weltweiten Sojaernte.
Unter den zehn Ländern mit den höchsten Entwaldungsraten zwischen 2010 und 2015 sind mit Brasilien, Argentinien, Paraguay und Bolivien die vier wichtigsten lateinamerikanischen Sojaproduzenten. Eine auf regionales und saisonales Gemüse, Getreide und Obst basierte Ernährung mit wenig Importware und fleischarmen Mahlzeiten fördert klimaschonende Anbausysteme. Hingegen ist eine aus verpackungsintensiven Fertigprodukten und Tiefkühlkost bestehende Mahlzeit, wenn sie auf agrarindustriell erzeugten importierten Lebensmitteln beruht, weder für das Klima noch für die Gesundheit förderlich. Mit dem Klimafußabdruck einer jeden Mahlzeit ist dies messbar, z.B. auf: klima-kollekte.de