Ihre Fragen zu dem Konflikt in Palästina und Israel
Wie schätzt Caritas international die Lage der Menschen im Gaza-Streifen ein?
Die humanitäre Lage ist katastrophal. Insgesamt sind rund zwei Millionen Menschen in starkem Ausmaß von Hunger sowie Mangel- und Unterernährung betroffen. Mehr als 92 Prozent der Wohnhäuser sind zerstört oder beschädigt - der Gaza-Streifen liegt in Schutt und Asche, Hundertausende von Menschen sind Mehrfachvertriebene. Auch die hygienischen Bedingungen sind dramatisch, die Gefahr von Seuchen ist groß. Es fehlt an Wasser, Lebensmitteln, Hygieneartikeln, Medikamenten, Zelten, Decken und an Treibstoff, der unteren anderem für Notstromaggregate benötigt wird.
Sind Helferinnen und Helfer von Caritas international vor Ort?
Caritas international arbeitet stets nach dem Partnerprinzip, so auch in der aktuellen Situation im Gaza-Streifen. Zu unseren derzeit tätigen Partnerorganisationen gehören Juzoor und Catholic Relief Services (CRS), mit denen uns eine langjährige Zusammenarbeit verbindet.
Die Mitarbeitenden unserer Partnerorganisationen leben selbst im Krisengebiet und tun ihr Möglichstes, um die Menschen, die dringend auf Hilfe angewiesen sind, mit dem Nötigsten zu versorgen - darunter auch Menschen mit Behinderung, die nicht evakuiert werden können. Die Mitarbeitenden vor Ort sowie ihre Familien sind dabei selbst unmittelbar betroffen: Sie mussten mehrfach umziehen, die meisten haben Familienmitglieder verloren und sind permanent hohen Sicherheitsrisiken ausgesetzt. Erst im April haben wir um zwei medizinische Mitarbeitende von Juzoor getrauert. Dennoch arbeiten auf bewundernswerte Weise über 60 Mitarbeitende von CRS sowie über 400 Helfende von Juzoor weiterhin vor Ort.
Wie sehen die aktuell möglichen Hilfen konkret aus?
Mit ihren Partnerorganisationen im Gaza-Streifen steht Caritas international mehrmals in der Woche im Austausch. Unsere Partner vor Ort können nach wie vor Hilfe leisten, jedoch unter extrem gefährlichen und äußerst schwierigen Bedingungen und leider nicht in dem Umfang, wie wir wollten und könnten.
So laufen die medizinischen Hilfen unseres Partners Juzoor im Norden des Gaza-Streifens weiter. Als eine der wenigen Nichtregierungsorganisationen im Norden des Gaza-Streifens ist Juzoor noch aktiv und leistet so gut es geht medizinische Nothilfe, etwa indem sie Mitarbeitende in mobilen Teams zu notleidenden Menschen entsendet.
Die Mitarbeitenden von CRS haben sich wochenlang auf eine mögliche Waffenruhe und die Öffnung der Zugänge vorbereitet. So wurden die Warenlager in Ägypten und Jordanien gut gefüllt, um schnell reagieren und LKW-Ladungen mit Hilfsgütern in den Gazastreifen bringen zu können, sobald dies möglich ist. Aktuell liegt der Schwerpunkt bei CRS auf psychosozialen Hilfen sowie auf Unterstützung im Sanitärbereich, etwa durch Wassertankwagen und Latrinen. Seit dem 19. Mai gelangen vereinzelt LKWs mit Hilfsgütern wieder nach Gaza.
Was konnten Sie in Gaza bisher erreichen?
Dank der CRS-Hilfskonvois konnten von November 2023 bis zum 2. März 2025 trotz erschwertem Zugang in das Krisengebiet dringend benötigte Güter wie Matratzen, Decken, Zelte, Regenplanen, Hygieneartikel sowie Nahrungsmittelpakete zu den Menschen im Gaza-Streifen gebracht werden. Außerdem wurde zeitweise Treibstoff geliefert, um Notstromaggregate für Krankenhäuser sowie Einrichtungen zur Gesundheitsvorsorge und Wasserversorgung betreiben zu können.
Insbesondere während der Waffenruhen konnte CRS verstärkt Güter in den Gaza-Streifen bringen. Es wurden 15 Verteilungspunkte und fünf Lagerhäuser betrieben.
Die Partnerorganisation Juzoor bot in 90 Unterkunftseinrichtungen sowie fünf Gesundheitszentren medizinische Not- und Grundversorgung, psychologische Hilfe und Nahrungsmittelversorgung für Vertriebene. Aktuell sind insbesondere mobile Teams für medizinische Nothilfe im Einsatz.
Außerdem unterstützt sie mit der "Help the Helpers"-Initiative Helfende aus dem Medizinsektor mit psychosozialen Angeboten sowie Gütern des täglichen Bedarfs, um ihren Alltag zu erleichtern und ihnen bei der Verarbeitung der Erlebnisse im Kriegsgebiet zu helfen.
Insgesamt flossen seitens Caritas international bisher mehr als drei Millionen Euro für Nothilfe in den Gaza-Streifen, auch dank Ihrer Spenden. Bis Ende des Jahres wollen wir mindestens eine weitere Million Euro für Hilfsleistungen und Projekte vor Ort bereitstellen.
Warum lehnen wir als Caritas international die geplante Neustrukturierung und Privatisierung der Hilfssysteme im Gaza-Streifen ab?
Caritas international schließt sich der Einschätzung der UN an, wonach eine Neustrukturierung der Hilfslieferungen mit Hilfe einer privaten Stiftung unter der Kontrolle des israelischen Militärs den wesentlichen Prinzipien humanitärer Hilfe - Neutralität und Unabhängigkeit - widersprechen würde. Außerdem sieht die Neuordnung vor, Hilfsgüter nur in bestimmte Zonen zu liefern; dies würde alte, kranke und geschwächte Menschen faktisch von der dringend benötigten Hilfe abschneiden - und widerspricht allem, wofür wir als Caritas stehen. Darüber hinaus lenkt die Diskussion von der Dringlichkeit ab, endlich schnell auf dem bewährten Weg die bereitstehenden Hilfsgüter in vollem Umfang zu verteilen.
Wie kann Caritas international unter solchen Bedingungen "neutral" bleiben?
Als humanitäre Hilfsorganisation verpflichtet sich Caritas international den humanitären Prinzipien der Unparteilichkeit, Neutralität und Unabhängigkeit. Unser Auftrag ist es Menschen in Not, gleich welcher Religion, Nationalität oder Herkunft Hilfe zu leisten.
Neutral zu sein bedeutet nicht, den Entwicklungen gleichgültig gegenüberzustehen. Caritas international ist angesichts des Terroranschlags der Hamas auf israelische Zivilistinnen und Zivilisten entsetzt. Unsere Gedanken sind bei den Menschen und Familien in Israel, die Angehörige verloren haben, Verletzte beklagen müssen oder um Menschen bangen, die von der Terrororganisation Hamas entführt worden sind. Gleichzeitig muss die Versorgung der bedürftigen Menschen im Gaza-Streifen trotz der Kriegshandlungen sichergestellt werden. Wir fordern deshalb alle Konfliktparteien auf, das humanitäre Völkerrecht einzuhalten und insbesondere die Versorgung der Zivilbevölkerung sicherzustellen. Caritas international appelliert zudem an die Konfliktparteien, alles für ein dauerhaftes Ende der Gewalt in Israel, Gaza und der Westbank zu tun.