"In der Gruppe fühlen sie sich verstanden"
Frau Moussa, mit welchen Problemen kommen die Menschen hier zu Ihnen?
Viele haben Traumatisches erlebt, entweder Gewalt mit ansehen müssen oder selbst erlebt. Die Menschen kommen aus Gegenden, in denen es regelmäßig zu extremen Verbrechen wie Folter, Morden, Massakern kam. Nicht wenige der Geflüchteten leiden unter Zwangsstörungen.
Wie äußern sich diese Zwangsstörungen?
Sie grübeln beispielsweise immer wieder über die in der Vergangenheit gemachten Entscheidungen nach. Das führt oft dazu, dass die Menschen selbst Schuld empfinden, etwas falsch gemacht zu haben. Sie ziehen sich zurück und werden sehr introvertiert.
Eine Frau hat ihren Kindern beispielsweise ohne Ausnahme verboten, mit Fremden zu sprechen. Ein 55-jähriger Syrer, den wir in seiner Hütte besucht haben, sitzt den ganzen Tag an der Tür und erklärt, wenn man ihn darauf anspricht, dass er die Security sei und es unumgänglich sei, dass er hier sitze. Niemand dürfe ohne seine Erlaubnis das Haus betreten. Generell denken viele der älteren Menschen, die wir hier betreuen, dass sie nur noch eine Bürde für ihre Familie sind. Sie verfallen in eine Lethargie und warten geradezu nur noch auf den Tod. Wir versuchen, diese Menschen sanft aus ihrer negativen Gedankenwelt herauszuholen.
Wie gehen sie dabei vor?
Es hilft in diesen Fällen oft schon, wenn die Betroffenen überhaupt in Gruppen zusammenkommen. Als Rahmen bieten wir verschiedene Aktivitäten an - wie Koch- oder Gärtnereikurse. Viele hier haben dasselbe erlebt und fühlen sich in der Gruppe verstanden und aufgehoben. Es wird viel gelacht und es herrscht ein gutes Miteinander, auch zwischen den Mitgliedern verschiedener Religionen. Ich kläre sie außerdem in Gruppensitzungen darüber aus, wie der Mensch generell auf verschiedene Ausnahmesituationen reagiert. Oft hilft es ihnen, wenn sie ein bisschen mehr verstehen, welche Auswirkungen extrem negative Erlebnisse auf die Psyche haben und auch warum sie selbst vielleicht gerade so denken und handeln, wie sie es tun. Ich bin aber auch für diejenigen da, die sich im geschützten Raum mit mir zusammensetzen wollen, um über ihre Probleme zu sprechen.
Das Interview führte Holger Vieth im Oktober 2017