Mosambik: Wiederaufbau nach Idai
„Die Menschen hatten Todesangst“
Ingo Steidl, Mitarbeiter von Caritas international, im Gespräch mit Angelina José. Das Haus der sechsfachen Mutter wurde durch „Idai“ teilweise zerstört.Foto: Andreas Scheibenreif / Caritas international
Wie war Ihr erster Eindruck vom Katastrophengebiet?
Ingo Steidl: Schon vom Flugzeug aus konnten wir sehen, welches Ausmaß die Katastrophe hat. Unzählige Seen durchzogen die Landschaft, dort, wo eigentlich keine sein sollten. Je tiefer wir flogen, desto besser konnten wir auch verstehen, warum die Menschen in Beira ihre Heimat spontan in „Stadt ohne Dächer“ umbenannt haben: Fast alle Häuser hatten ihre Dächer im Sturm eingebüßt.
Sie haben mit vielen Menschen vor Ort gesprochen. Wie haben sie die Katastrophe erlebt?
Sie hatten Todesangst. Im Radio war zwar vor dem aufziehenden Sturm gewarnt worden, aber die Wucht, die „Idai“ entfaltete, hat alle überrascht. Zudem kam die Nachricht sehr kurzfristig, viele Menschen hatten keine Zeit mehr, sich vorzubereiten. Der Wirbelsturm entwurzelte Bäume, knickte Strommasten um, deckte Häuser ab und beschädigte Schulen und Krankenhäuser. Hinzu kamen sturzflutartige Regenfälle und Überschwemmungen, die sich an vielen Orten zu reißenden Strömen auswuchsen. Ich habe mit Familien gesprochen, die tagelang auf Bäumen oder Häuserdächern ausharren mussten, ohne Essen, ohne Trinkwasser und in großer Angst um ihre Liebsten. Insbesondere in den ländlichen Regionen waren tausende Menschen tagelang von der Versorgung abgeschnitten, weil die Zugangsstraßen zu ihren Siedlungen schwer beschädigt oder überflutet worden waren. Laut UN sind rund zwei Millionen Menschen dringend auf Hilfe angewiesen.
Wie sieht es mit den Häusern in den betroffenen Regionen aus?
Sie sind häufig unbewohnbar: ohne Dach, feucht und voller Schlamm. Wenn das Wasser die wenigen Habseligkeiten der Menschen nicht davongetragen hat, so sind sie zumindest unbrauchbar geworden. Viele Betroffene haben Zuflucht in den unzähligen Sammelunterkünften gefunden und harren dort seit Wochen aus. Laut dem mosambikanischen „Nationalen Institut für Katastrophenmanagement“ wurden insgesamt mehr als 15.000 Häuser überschwemmt und rund 230.000 zerstört. Die Zahlen gelten als zurückhaltend, die tatsächlichen Schäden könnten weitaus höher liegen. Caritas international und ihre Partner haben begonnen, die Menschen mit Baumaterialien auszustatten, damit sie ihre Häuser zumindest provisorisch reparieren und regenfest machen können. Zurzeit werden etwa 8.000 Plastikplanen verteilt, die mit finanzieller Unterstützung des Auswärtigen Amts auf den Weg gebracht wurden. Zusätzlich versorgen wir die Menschen mit Nahrungsmitteln wie Reis, Bohnen und Speiseöl sowie mit Moskitonetzen und Hygieneartikeln. Allein die Caritas Beira, eine unserer drei Partnerorganisationen im Katastrophengebiet, plant rund 20.000 Haushalte in der Stadt und im Umland zu erreichen.
Eine Palette mit Planen wurde am Flughafen in Beira entladenFoto: Andreas Scheibenreif / Caritas international
Wie ist die Gesundheitssituation der Betroffenen?
Die Lage ist schwierig, insbesondere in den ländlichen Regionen. Die unzähligen Wasserlachen nach den Überschwemmungen bieten ideale Brutbedingungen für Malaria- Mücken. Hinzu kommt, dass viele Menschen gezwungen sind, im Freien zu übernachten und nicht einmal über Moskitonetze verfügen. Sie sind den Mücken schutzlos ausgeliefert. Entsprechend ist die Zahl der Malariafälle in den vergangenen Wochen stark angestiegen. Sorgen macht uns auch der mangelnde Zugang zu sauberem Wasser. Die Überschwemmungen haben vielerorts Brunnen verseucht. Eine Folge sind Durchfallerkrankungen, die insbesondere für Kleinkinder schnell lebensbedrohlich werden können. Nach dem Auftreten der ersten Cholerafälle hat das mosambikanische Gesundheitsministerium mit Unterstützung der Weltgesundheitsorganisation eine großangelegte Anti-Cholera-Kampagne gestartet. Bislang sollen rund 750.000 Menschen geimpft worden sein. Dennoch ist die Gefahr von Seuchen nicht gebannt – auch, weil die Bergung der Leichen noch nicht abgeschlossen ist. Bislang wurden 600 Tote bestätigt. Aber es bleibt zu befürchten, dass diese Zahl noch deutlich ansteigen wird.
Was gibt es für weitere Probleme?
Die Wassermassen haben hunderttausende Hektar landwirtschaftlich genutzter Fläche überschwemmt, die Ernte zerstört und den Menschen damit ihre Existenzgrundlage genommen. Denn 80 Prozent der mosambikanischen Bevölkerung sichert ihr Überleben nach wie vor durch Landwirtschaft. Und auch vor den Getreidespeichern hat das Wasser nicht haltgemacht. Die Ernährungslage ist deshalb extrem angespannt. Ab Oktober – wenn die neue Anbausaison beginnt – wird die Caritas die Kleinbauern zusätzlich zu den Nahrungsmittelhilfen mit Saatgut und neuen Werkzeugen auszustatten.
Was hat Sie auf Ihrer Reise besonders berührt?
Viele Mitarbeitende unserer Partnerorganisationen sind selbst durch den Sturm betroffen. Dennoch arbeiten sie rund um die Uhr für diejenigen, denen es noch schlechter geht. Ich war auch beeindruckt, mit welcher Stärke die Menschen auf die katastrophalen Bedingungen reagiert haben. Ich erinnere mich an einen Sportlehrer, der an der Internatsschule unserer Partnerorganisation Esmabama arbeitet. Kurz nachdem das Wasser abgeflossen war, hat er wieder damit begonnen zu unterrichten. Vor allem, damit die oftmals traumatisierten Kinder wieder so etwas wie Normalität und Alltag erfahren.
Aufgezeichnet April 2019