Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrte Damen und Herren,
vor uns liegt der Jahresbericht von Caritas international, dem Hilfswerk des Deutschen Caritasverbandes. Wir legen über den Einsatz der privaten Spenden sowie der kirchlichen und öffentlichen Mittel darin Rechenschaft ab, die es uns ermöglicht haben, im vergangenen Jahr mehr als 600 Hilfsprojekte in Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa zu unterstützen.
Zwei Naturkatastrophen standen im Jahr 2013 besonders im Blickpunkt: Der Taifun "Haiyan" auf den Philippinen sowie das Hochwasser in Deutschland und Osteuropa. Auf den Philippinen konnten wir mehr als 100.000 Taifun-Opfer mit Hilfsgütern wie Lebensmitteln, Trinkwasser und Werkzeugsets erreichen. Dank der lokalen kirchlichen Strukturen waren wir nah an den Menschen, die sich selber nicht helfen können: Das sind insbesondere alte, kranke und behinderte Menschen sowie Kinder. Im Wiederaufbau engagieren wir uns zum einen beim Bau von Wohnhäusern, Schulen und sozialen Einrichtungen. Zum anderen unterstützen wir Fischer und Bauern beim Neustart, die durch den Taifun ihre Lebensgrundlagen verloren haben.
In Ostdeutschland, Bayern und der Tschechischen Republik haben die diversen Caritasverbände fast 10.000 Flutopfer beim Neubeginn unterstützt. Unsere Angebote reichten dabei von finanzieller Soforthilfe und Energiekostenzuschüssen über den Verleih von Wandtrocknern und Hochdruckreinigern bis hin zu umfangreichen administrativen, baufachlichen und psychosozialen Beratungen. In allen Flutgebieten war Caritas aktiv an der Soforthilfe beteiligt und mit Beratungsstellen präsent.
Der Jahresbericht enthält auch eine Reihe von Hinweisen darauf, dass die Herausforderungen, vor denen die Humanitäre Hilfe und damit auch unser Hilfswerk stehen, nie zuvor so groß waren wie im Jahr 2013; ganz besonders gilt das für die vergangenen Monate des Jahres 2014. Bezeichnend dafür ist, dass die Vereinten Nationen für drei Krisenherde in diesem Jahr die höchste Notstandsstufe ausgerufen haben: Südsudan, Syrien und der Zentralafrikanischen Republik. Das ist einmalig in der Geschichte der Humanitären Hilfe. Und zugleich ist diese Tatsache doch auch symptomatisch für eine Entwicklung, die sich seit gut einem Jahrzehnt abzeichnet. Denn in den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der Menschen, die aufgrund von Kriegen und Naturkatastrophen auf Hilfe angewiesen sind, kontinuierlich auf heute 70 Millionen Notleidende verdoppelt. Die drei genannten Länder, in denen auch wir mit unseren Hilfsprojekten das Leid der Menschen zu lindern versuchen, stehen also stellvertretend für unsere hilfebedürftige Welt.
Diesem wachsenden Hilfebedarf steht auf der anderen Seite eine deutlich gestiegene Gefährdung der humanitären Helfer gegenüber. So hat sich die Zahl der entführten, verletzten und getöteten Helfer seit dem Jahr 2000 von 91 auf 274 Menschen pro Jahr verdreifacht. Besonders groß sind die Gefahren in den Ländern, die in unserer Projektarbeit eine herausgehobene Rolle spielen: In Afghanistan, im Südsudan und in Syrien. Und besonders drastisch ist der Anstieg der Entführungen, die sich im kurzen Zeitraum von 2009 bis 2012 von 23 auf 92 Zwischenfälle vervierfacht haben. Zu diesen entführten Helfern zählten im vergangenen Jahr auch zwei Mitarbeiterinnen unserer Partnerorganisationen in Syrien und in Afghanistan. Die syrische Kollegin kam glücklicherweise frei, unsere afghanische Mitarbeiterin aber wurde später tot aufgefunden.
Die wachsende Gefährdung der Helferinnen und Helfer sowie die steigende Zahl der Hilfebedürftigen sind aus unserer Sicht zwei Seiten der gleichen Medaille. Beides hat mit dem Anstieg der innerstaatlichen Konflikte zu tun. Das Internationale Völkerrecht genießt in diesen Konflikten deutlich weniger Respekt als das bei zwischenstaatlichen Kriegen die Regel ist. Die Brutalität der Kämpfe und die Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung haben in der Tendenz deutlich zugenommen. In vielen Konflikten verschwimmt der Unterschied zwischen Soldaten und Zivilisten immer stärker. Kämpfende Truppen wechseln mehr oder weniger regelmäßig zwischen dem Status als Zivilist und Kämpfer. In einigen Fällen wird die Zivilbevölkerung zur Zielscheibe von bewaffneten Verbänden, um die Unterstützung für Aufständische und oppositionelle Gruppen zu brechen. Die Tötung, Verstümmelung und Kontrolle von Zivilisten wird zu einem eigenständigen Kriegsziel. Die militärischen Auseinandersetzungen in Syrien, der Zentralafrikanische Republik, im Südsudan und im Irak sind hierfür traurige Belege. Zur humanitären Lage im Südsudan und im Irak wird Ihnen im Anschluss Herr Dr. Müller noch ausführlicher berichten.
In die Reihe dieser Staaten scheint die Ukraine nicht recht zu passen. Und doch sind die Probleme, denen wir bei unserer Arbeit nur 800 Kilometer von Berlin entfernt begegnen, strukturell denen in den genannten afrikanischen und arabischen Staaten nicht so unähnlich wie man zunächst denken mag. Auch in der Ukraine haben Aufständische, die sich dort Separatisten nennen, einen innerstaatlichen Konflikt provoziert, auf den die regulären Truppen kaum eine Antwort haben. Die Zahl der Separatistengruppen, Freiwilligenbataillone und Volkskommandos ist ähnlich unüberschaubar wie die Zahl der Warlords und Milizen im Kongo oder in Syrien. Ihre Ziele und Hintermänner liegen im Dunkeln. Und wie in Afrika gibt es wenig Respekt vor dem Agieren humanitärer Akteure. Wir haben das bei den Entführungen der OSZE-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erlebt.
Wir haben es aber auch selbst erfahren, weil nach Einschüchterungen und deutlichen Warnungen das Caritas-Büro in der ostukrainischen Metropole Donezk nur noch stark eingeschränkt arbeitsfähig ist. So ist beispielsweise die Hauskrankenpflege, bei der Krankenschwestern und Pfleger von Haus zu Haus gehen, um alte Menschen und Aids-Patienten aufzusuchen, aufgrund von Heckenschützen und dem unberechenbaren Verlauf der Gefechte zu einer großen Gefahr für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geworden. Die unkontrollierte Verteilung von Waffen, die in den vergangenen Wochen in der Region stattfand, gefährdet das Leben der Zivilbevölkerung. Viele haben Donezk deshalb verlassen, auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Caritas. Auch Priester können sich nicht mehr frei bewegen, weil sie als Unterstützer der Revolution gelten und auf "Schwarzen Listen" der Separatisten stehen. Humanitäre Prinzipien wie Menschlichkeit und Neutralität werden in der Ukraine mit Füßen getreten. Diese Entwicklung ist für uns erschreckend. Wir appellieren an die Konfliktparteien, die Zivilbevölkerung zu schützen sowie humanitäre Helfer zu respektieren.
Ungeachtet der schwierigen Umstände setzen wir die humanitäre Hilfe fort. Seit April unterstützt die deutsche Caritas unsere ukrainischen Kolleginnen und Kollegen finanziell und logistisch dabei, regionale Nothilfe-Teams aufzubauen, die für den Fall reaktionsfähig sind, dass der Konflikt sich noch weiter ausweitet. So konnten in der West- und Zentralukraine bereits Vorkehrungen für die Einrichtung von Notunterkünften in kirchlichen Einrichtungen, die Sicherstellung der medizinischen Versorgung und die Organisation von Schulunterricht getroffen werden. In den vergangenen Tagen war unser Team in den umkämpften Gebieten des Ostens der Ukraine unterwegs, um den Bedarf der Flüchtlinge zu erfassen.
Mittlerweile ist eine Propagandaschlacht um die Flüchtlinge entbrannt. Zahlen über die von der Krim in die West-Ukraine bzw. aus der Ost-Ukraine nach Russland Geflüchteten werden politischen Motiven und Interessen angepasst; wir müssen uns deshalb auf eigene Zahlen und Augenzeugenberichte verlassen. Von der russischen Seite der Grenze berichten uns unsere russischen Caritas-Kolleginnen und -Kollegen, dass im Juni tageweise mehrere hundert Flüchtlinge aus den Gebieten Donezk und Lugansk in der Region Rostow angekommen sind. 49 Notunterkünfte sind dort eingerichtet worden, um die Menschen unterzubringen. Unsere ukrainischen Kolleginnen und Kollegen auf der anderen Seite der Grenze versorgen in der West-Ukraine einen Teil der mehr als 10.000 Krim-Flüchtlinge. Für diese Menschen, von denen 70 Prozent Frauen und Kinder sind, gibt es bislang keinerlei staatliche Unterstützung. Da es kaum zivilgesellschaftliche Organisationen außerhalb von Kiew gibt, ist die Caritas vermutlich die einzige Organisation, die den Notleidenden überhaupt Hilfe leistet. Unter anderem werden in der West-Ukraine Privatleute unterstützt, die Binnenflüchtlinge von der Krim aufgenommen haben und am Ende ihrer eigenen Möglichkeiten sind.
Angesichts der wachsenden Herausforderungen, die ich Ihnen eben skizziert habe, sind wir sehr dankbar dafür, dass unsere Arbeit bei Spendern sowie kirchlichen und öffentlichen Geldgebern großes und stetig wachsendes Vertrauen genießt. Insgesamt sind dem Deutschen Caritasverband für sein Hilfswerk Caritas international im vergangenen Jahr 82,63 Mio. Euro für die Projektarbeit anvertraut worden. Das sind 35 Mio. Euro mehr als im Vorjahr. 42,8 Mio. Euro dieser Gesamteinnahmen stammen von privaten Spendern. Das ist gegenüber dem Vorjahr ein Anstieg um mehr als 28 Mio. Euro, der vor allem auf die Solidarität der Spender mit den Opfern des Taifuns auf den Philippinen und die Flut in Osteuropa zurückzuführen ist. An öffentlichen Zuschüssen und Kirchensteuermitteln standen uns 35,62 Mio. Euro und damit 6,8 Mio. Euro mehr als im Vorjahr zur Verfügung. Wir konnten also deutliche Zuwächse bei den beiden wichtigsten Finanzierungsquellen verzeichnen. Für das darin zum Ausdruck kommende Vertrauen danke ich unseren Spenderinnen und Spendern sowie den kirchlichen und staatlichen Geldgebern ganz herzlich!
Im Jahr 2013 konnten wir 701 Projekte in 181 Ländern mit einem Volumen von 61,22 Mio. Euro durchführen. Das sind über zehn Mio. Euro mehr als im Vorjahr. 73 Prozent unserer Arbeit umfasst die Hilfe nach Naturkatastrophen und Bürgerkriegen. Die restlichen 27 Prozent machten soziale Projekte für Kinder sowie alte, kranke und behinderte Menschen aus. Die Verwaltungskosten konnten wir mit 7,8 Prozent erneut sehr niedrig halten.
Sehr geehrte Damen und Herren! Mit unserer am Jahresanfang eingeleiteten Kampagne 2014 "Weit weg ist näher als Du denkst" möchten wir das Bewusstsein für globale Zusammenhänge schärfen. Wir alle wissen, dass wir durch unseres eigenes Handeln dazu beitragen können, den CO²-Ausstoß zu verringern. Und wir wissen, dass Tiefstpreise für Kleidung und Lebensmittel nicht mit fairen Produktionsbedingungen einhergehen können. Wir wissen auch um die Ausweglosigkeit von Flüchtlingen. Doch Wissen allein reicht nicht - Handeln tut Not. Handeln tut besonders Not für die Millionen von Kriegsflüchtlingen und Gewaltopfer. Ich hoffe, meine Ausführungen konnten das deutlich machen. Auch sie gehören zu unseren "globalen Nachbarn". Wir dürfen das nie vergessen.
Prälat Dr. Peter Neher
Präsident des Deutschen Caritasverbandes