Es gilt das gesprochene Wort
Sehr geehrte Damen und Herren,
ganz herzlich heiße ich Sie zur Jahrespressekonferenz von Caritas international, dem
Hilfswerk des Deutschen Caritasverbandes an dessen Sitz hier in Freiburg willkommen.
Eine Pressekonferenz, die in diesem Jahr unter den Bedingungen von Corona stattfindet. Ich
danke allen, die trotzdem den Weg zu uns gefunden haben und hier einander mit Abstand
begegnen oder aber virtuell unsere Gäste sind.
Zu den Auswirkungen der Pandemie auf unsere internationale Arbeit wird Herr Dr. Müller
später Stellung nehmen. Auch über die zunehmenden Schwierigkeiten für uns und unsere
Partner, bedürftige Menschen vor Ort überhaupt zu erreichen.
Intensiv diskutiert wird in dieser Corona-Zeit die Spendenfreudigkeit der Menschen. Wir
können sagen, dass die Spenderinnen und Spender an die Notleidenden weltweit weiterhin
denken, trotz aller Probleme und Einschränkungen, die das Virus auch hierzulande verursacht.
Wir freuen uns sehr, dass wir in der ersten Jahreshälfte 2020 eine hohe Spendenfreudigkeit
verzeichnen konnten, die ein Drittel über unserer Planung liegt.
Auch das vergangene Jahr war bezüglich der Spendenbereitschaft der Menschen ein gutes
Jahr. Mehr als 132.000 Spenderinnen und Spender haben uns ihr Vertrauen geschenkt und uns
damit über 30 Mio. Euro anvertraut. Dafür danke ich ausdrücklich und kann nur betonen, dass
diese Spenden ganz grundlegend für unsere Arbeit sind, ebenso wie die Mittel, die uns aus
den Diözesen, von kirchlichen Einrichtungen, aus anderen Gliederungen der Caritas oder
Stiftungen zugegangen sind.
Diese Mittel und weitere Gelder aus Rücklagen flossen in 725 Projekte weltweit; eine Zahl,
die wir gegenüber den Vorjahren leicht steigern konnten. Insgesamt lagen die finanziellen
Aufwendungen für unsere Arbeit 2019 bei mehr als 82 Mio. Euro. Ein neuer Höchststand.
Noch nie hat unser Auslandshilfswerk Caritas international mehr Geld in seine humanitäre
Hilfe investierten können; bei gleichzeitig geringem Personal-, Verwaltungs- und
Sachaufwand, der bei 9,2 Prozent lag.
Diese eigentlich erfreuliche Entwicklung der "zunehmenden Hilfsmöglichkeiten" macht
zugleich die andere Seite der Medaille sichtbar: den steigenden weltweiten Hilfebedarf, auf
den wir mit dieser Rekordausgabe reagieren konnten.
Die aktuellen Flüchtlingszahlen der Vereinten Nationen für 2019 belegen eindrücklich diesen
negativen Trend. Fast 80 Mio. Menschen sind weltweit auf der Flucht. Sie benötigen Hilfe
und müssen versorgt werden, weil immer mehr Krisen die Menschen zur Flucht zwingen:
Gewalt und politische Instabilität in vielen Ländern wie in Afghanistan, der Krieg in Syrien
oder die gewaltsame Vertreibung der Rohingya aus Myanmar nach Bangladesch, die nicht
enden wollende Krise im Südsudan und in Venezuela sind nur einige Brennpunkte, die ich
hier nennen will.
Zu diesen von Menschen gemachten Krisen kommen zunehmend Naturkatastrophen wie
Dürren und Überschwemmungen. Im vergangenen Jahr hatte der Zyklon "Idai" Mosambik
und Teile des angrenzen-den Simbabwe verwüstet. Allein in Mosambik starben etwa 600
Menschen, Hunderttausende wurden obdachlos. Fast zwei Mio. Menschen waren auf
Humanitäre Hilfe angewiesen. Wir haben in dieser Kata-strophe geholfen und sind auch jetzt
noch vor Ort, um die Menschen beim Wiederaufbau in Mosambik zu unterstützen. Im
Unterschied zu vielen anderen Hilfsorganisationen, die bereits nach der Nothilfe ihre Zelte
vor Ort wieder abgebrochen haben.
Der Hunger - jahrelang auf dem Rückzug - steigt wieder an. Mehr als zwei Milliarden
Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Wasser. Insgesamt - so rechneten die Vereinten
Nationen - benötigten fast 168 Mio. Menschen weltweit Hilfe, und nicht einmal die kann die
UN vollständig erreichen. 60 Mio. sind schlicht unversorgt.
Diese Zahlen stammen wohlgemerkt aus "vor Corona-Zeiten" und sie sind in den
vergangenen Jahren stetig angestiegen. Das Budget für die Hilfe schätzten die Vereinten
Nationen auf knapp 29 Milliarden Dollar. Ein Betrag, von dessen Deckung man gegenwärtig
noch weit entfernt ist. Und das ist keine neue Entwicklung. Seit Jahren schon hinkt die
finanzielle Ausstattung dem Bedarf humanitärer Hilfe hinterher. Und diese Lücke wird immer
größer.
Die Pandemie hat nicht nur neue Bedarfe geschaffen. Wir erleben, dass das Virus schon
länger bestehende soziale Missstände und deren tiefer liegende Ursachen offenlegt. Das Virus
wirkt da wie eine Lupe, welche uns allen die Missstände und die massiven sozialen Ungleichheiten
deutlicher als je zuvor vor Augen führt. Und zwar gleichgültig, ob wir auf die Feld- und
Fabrikarbeiter in Indien und Kenia oder auf die osteuropäischen Arbeit in den
Fleischfabriken Deutschlands schauen. Überall erkennen wir, dass die gesellschaftliche
Ungleichheit vor allem für die Bevölkerungsgruppen am Rand der Gesellschaft tödliche
Folgen hat. Und zwar national wie global. Das Virus betrifft eben nicht alle gleichermaßen,
sondern besonders diejenigen, die ohnehin arm und verletzlich sind.
Weltweit steigt die Zahl der Corona-Infizierten weiter an. Und die Eindämmungsmaßnahmen
behindern die Umsetzung bestehender Hilfsleistungen oder erfordern zusätzliche Angebote.
Herr Dr. Müller wird dazu einiges sagen. Für den Corona-Hilfsfonds der Vereinten Nationen
werden weitere sieben Milliarden Dollar benötigt. Doch der Topf ist erst zu gut einem Fünftel
gefüllt. Hier müsste die Weltgemeinschaft mehr tun. Dass sie dazu in der Lage ist, hat die EU-Geberkonferenz jüngst gezeigt, als 7,4 Milliarden Euro für den so dringend benötigten
Impfstoff zügig zusammen gekommen sind.
Es sind also nicht fehlende Mittel - man denke nur an die Milliarden von Dollar, die
gegenwärtig für die lahmende Weltwirtschaft bewegt werden, oder etwa an die
Rüstungsausgaben, die jährlich steigen. Es ist vielmehr der fehlende politische Wille,
notleidenden Menschen in den Krisen nachhaltig zu helfen, weil wir dann nicht um die Frage
herum kommen, wo wir mit unserer Art zu leben selbst für die weltweiten Ungerechtigkeiten
mit verantwortlich sind. Und das sind die griechischen Inseln, wo sich die Geflüchteten in den
Lagern drängen und unter katastrophalen, ja menschenunwürdigen Umständen leben.
Beschämendes und trauriges Ergebnis einer zu Kompromissen unfähigen europäischen Asyl und Flüchtlingspolitik. Denn bedauerlicherweise setzt sich nur ein Teil der EU-Mitgliedsstaaten für wirkliche Fortschritte ein. Doch die Lage vor Ort macht konkrete Schritte dringend notwendig.
Mehr als 33.000 Flüchtlinge und Migranten leben gegenwärtig auf den Ägäis-Inseln Lesbos,
Chios und Samos. Ein Drittel davon sind Kinder, also rund 11.000, davon sind mehr als zehn
Prozent unbegleitete Kinder und Jugendliche.
Das Lager ‚Moria‘ ist darunter das wohl medial bekannteste. Die Zu-stände dort und in den
angrenzenden Olivenhainen sind in zahlreichen Berichten immer wieder eindrücklich
beschrieben worden. Das Camp, für knapp 3.000 Menschen konzipiert und gebaut, ist
fünffach über-belegt. Und die politisch Verantwortlichen hatten noch Glück, dass das Virus
COVID-19 bisher keine größere Rolle auf den Inseln und in den Lagern gespielt hat. Denn die
Inseln wären medizinisch damit völlig überfordert. Auf Lesbos gibt es nur eine Klinik, und
die muss sowohl die einheimischen Inselbewohner als auch die Flüchtlinge versorgen.
Zu kritisieren ist jedoch (wenngleich aus griechischer Sicht vielleicht sogar verständlich),
dass Griechenland vier Wochen lang das Recht auf Asyl an seinen Grenzen ausgesetzt und
jegliche Einreise verhindert hat, als der türkische Präsident Erdogan Ende Februar die Grenze
für Geflüchteten nach Griechenland einseitig geöffnet hat.
Immerhin hat der deutsche Außenminister im Vorfeld der deutschen EU-Ratspräsidentschaft
angekündigt, das Problem der Geflüchteten auf den griechischen Inseln lösen zu wollen. Wir
begrüßen das ausdrücklich. Auch, dass die Bundesrepublik mit einigen wenigen europäischen
Partnern bereits Kinder und Jugendliche nach Westeuropa geholt haben - 53 davon
nach Deutschland. Weitere 243 schwerkranke Kinder sowie ihre Eltern sollen dieser Tage
nach Deutschland kommen. Zudem haben noch zehn andere europäische Länder zugesagt,
Kinder und ihre Eltern von den griechischen Inseln zu holen.
Diese Zahlen sind angesichts der dramatischen Situation auf den Inseln viel zu gering. Für
einige wenige hat sich die Situation verbessert - löst allerdings nicht die Grundproblematik
fehlender europäischer Asylpolitik.
Was gebraucht wird, sind klare Perspektiven für die geflüchteten Menschen, aber auch für die
Einheimischen auf den Inseln. Europa muss endlich Lösungen finden. Solange das dauert,
muss die Hilfe vor Ort auf den Inseln weitergehen: Die Caritas Griechenland wird dabei von
der deutschen Caritas mit seinem Hilfswerk Caritas international unterstützt. Auf Lesbos und
Chios sind wir nach wie vor tätig.
Neben einem solidarischen und humanitären Asylsystem benötigen wir ein entschlossenes
gemeinsames europäisches Handeln, um die Friedensbemühungen in Syrien, Afghanistan
oder dem Südsudan zu unterstützen. Die Kriege müssen enden, damit die Menschen ihre
Länder nicht mehr verlassen müssen.
Wir begrüßen ausdrücklich, dass die Bundesregierung in einem unlängst erarbeiteten
Konzeptpapier für eine Neuausrichtung eines gemeinsamen europäischen Asylsystems
beispielsweise das bisherige Konzept der alleinigen Zuständigkeit des "Ersteinreisestaates"
(Dublin-Regelung) für die Durchführung des Asylverfahrens aufgeben will. Wir sehen
jedoch die Absicht äußerst kritisch, Vorprüfungen an den Außengrenzen und damit verbunden
zeitlich begrenzte Inhaftierungen einzuführen.
Ich hoffe sehr, dass - möglicherweise unter der deutschen Ratspräsidentschaft - eine
dauerhafte Lösung gefunden wird. Dazu möchte ich alle Akteure ermutigen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Prälat Dr. Peter Neher, Präsident des Deutschen Caritasverbandes