Einleitung
Meine Ausführungen zu diesem Thema basieren auf den Erfahrungen, die wir als Caritas international im Kontakt zu Militärs in rund drei Jahrzehnten in verschiedenen Ländern und Konfliktkonstellationen gemacht haben:
- In den achtziger Jahren in Honduras bei der Arbeit mit Flüchtlingen aus El Salvador, die in den Flüchtlingslagern vom honduranischen Militär beschützt werden sollten. Tatsächlich waren die Soldaten aber kein Schutz, sondern eine reale Bedrohung, weil sie nachts Razzien in den Lagern veranstalteten unter dem Vorwand, infiltrierte Kämpfer des salvadorianischen Widerstandes ausfindig zu machen und dabei vielfach Unschuldige mitnahmen
- Anfang der neunziger Jahre in Somalia, wo die deutsche Bundeswehr in Belet Huen aus Mangel an einer sinnvollen Aufgabe mit großem Enthusiasmus und noch größerem Dilettantismus Hilfsprojekte begonnen hatte, die nach einem überstürzten Abzug als Entwicklungsruinen zurückblieben und wo wir zusammen mit anderen Hilfsorganisationen versuchten, wenigstens die gröbsten Flurschäden zu beseitigen
- In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre auf dem Balkan, insbesondere in Bosnien-Herzegowina und dann später im Kosovokrieg, wo wir viel Kritik dafür einstecken mussten, weil wir eine - wie manche es ausdrückten - "Zusammenarbeit mit der Bundeswehr zum Wohle der hilfsbedürftigen Menschen" ablehnten
- In Afghanistan, wo deutsche Soldaten seit 2002 "unsere Freiheit am Hindukusch" verteidigen und wo wir unter einem permanenten Rechtfertigungsdruck stehen, warum wir nicht stärker mit der Bundeswehr kooperieren bzw. die Aufbauarbeit, die die Bundeswehr selbst leistet, als Gefährdung unserer Neutralität und Sicherheit ablehnen
Es gibt bei der Frage der Kooperation oder Nicht-Kooperation mit Streitkräften im Feld der humanitären Hilfe viele Aspekte zu berücksichtigen. Heute interessiert uns der Sicherheitsaspekt. Es geht um die Frage: wie können sich Hilfsorganisationen und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor krimineller oder politisch motivierter Gewalt, vor Entführungen, Anschlägen oder gewaltsamen Übergriffen jeglicher Art am besten schützen? Was können sie selbst tun, um ein sicheres Umfeld für ihre Arbeit herzustellen? Und in welcher Weise wirkt sich das Verhältnis zu militärischen Akteuren auf die Sicherheit der NRO aus? Die Frage stellt sich besonders dort, wo gewaltsame Konfliktstrukturen vorherrschen und wo demzufolge gleichzeitig mit den zivilen Hilfsorganisationen militärische Akteure das Geschehen bestimmen.
Einigkeit besteht wohl in der Einschätzung, dass sich die Sicherheitsbedingungen für die Arbeit humanitärer Hilfsorganisationen im Kontext gewaltsamer Konflikte in den letzten Jahren deutlich verschlechtert haben. Hilfsorganisationen und ihre Mitarbeiter werden verstärkt zur Zielscheibe von gewaltsamen Übergriffen und Attentaten. Auf der Suche nach Gründen für diese Zunahme von Gewalt gegen Hilfsorganisationen lautet eine der gängigen Erklärungen: weil der Westen oder die VN in den letzten Jahren verstärkt in Krisengebieten militärisch intervenieren und weil sie dafür häufig auch humanitäre Gründe anführen, weil also die Politik implizit oder explizit (siehe Colin Powell) Hilfsorganisationen als Teil der militärischen Strategie, als verlängerten Arm der Militärs sehen will, deren Rolle es ist, den Krieg moralischer zu machen, weil sie die Leiden der Zivilbevölkerung mildern und die Kollateralschäden beseitigen. Die VN haben dafür den schönen Namen der "integrated missions" gefunden.
Sicherheit, Distanz, Militär
Gefährdet also die Nähe zum Militär die Sicherheit der NRO? Um das beantworten zu können, müssen zunächst die Begriffe "Sicherheit", "Distanz" und "Militär" genauer betrachtet werden.
Es kann vorausgesetzt werden, dass im Kontext des heutigen Workshops, reguläre Truppen gemeint sind, wenn wir von Militär sprechen. Militärische Akteure also, die von Staaten oder Staatenbündnissen (VN, EU, NATO) mandatiert sind, also im Auftrag ihrer Regierung oder des Bündnisses in einer Krisenregion tätig sind.
Der Begriff "Sicherheit" ist sehr facettenreich. Bei der heutigen Debatte möchte ich von einem engeren Sicherheitsbegriff ausgehen, der weder den militärischen Ansatz der "vernetzten Sicherheit" meint noch das zivile Konzept der umfassenden menschlichen Sicherheit, sondern Sicherheit als Kategorie einer individuell oder kollektiv empfundenen oder tatsächlich vorhandenen Bedrohung für Hilfsorganisationen und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Sicherheit bzw. Bedrohung oder Gefährdung sind aber nur schwer objektiv messbar. Im Straßenverkehr oder beim Bergsteigen ist das noch relativ einfach, und es gibt dafür ja auch entsprechende technische Vorkehrungen, wie Sicherheitsgurte, trittsichere Schuhe und Lawinensuchhunde, die Verschüttete orten können, usw. Wie sicher oder wie gefährdet man in einer gegebenen Situation ist, wird aus der individuellen Perspektive sehr unterschiedlich erlebt und wahrgenommen. Obwohl man objektiv in einem Flugzeug in der Luft sicherer ist als auf einem Fahrrad auf festem Boden, wird Fliegen von vielen Menschen als bedrohlicher empfunden.
Humanitäre Helfer tendieren im Übrigen dazu, die eigene Sicherheitsgefährdung in einer gegebenen Situation zu unterschätzen und Sicherheitsvorschriften, die vom Head Office vorgegeben werden, gerne zu unterlaufen.
Distanz vs. Nähe: Selbstverständlich gilt - wie übrigens überall - das es im Bezug auf Sicherheit Faktoren gibt, die man selbst positiv oder negativ beeinflussen kann, und anderen Faktoren, die als gegeben hingenommen werden müssen. Bei der Kategorie "Distanz zum Militär" haben wir es ja immerhin mit zwei beweglichen Elementen zu tun. D.h. selbst wenn man vor jemand wegrennt, kann die Distanz kleiner werden, nämlich dann, wenn der andere schneller ist. Man kennt das Problem ja auch aus ganz banalen zwischenmenschlichen Bezügen. Manche Leute kommen einem beim Gespräch zu nahe, sind distanzlos, und man hat Mühe, die Distanz, die man selbst für angemessen hält, durch Zurückweichen aufrecht zu erhalten.
Wer also Distanz zum Militär für das bessere Sicherheitskonzept hält, für den könnte das in der Konsequenz bedeuten, ständig auf der Flucht zu sein. Im Übrigen - und damit soll der Apologetik genug sein - kann das Begriffspaar "Distanz vs. Nähe" ja nicht nur räumlich verstanden werden, sondern sich auch beziehen auf geistig/ideologisch/politische Nähe oder Distanz, bzw. auf das Maß der Kooperation, das beide Seiten miteinander pflegen (oder vermeiden).
Warum Nähe zum Militär keine Alternative ist: einige Argumente
Deshalb möchte ich das Begriffspaar "Distanz vs. Nähe" zwar auch, aber nicht ausschließlich räumlich verstanden wissen. Wie viel oder wie wenig Kooperation mit Streitkräften ist unter Sicherheitsaspekten für NRO bekömmlich?
Wenn die Einschätzung zutrifft, dass nämlich die Bedrohung zugenommen hat - und das gilt insbesondere für die Arbeit in Ländern wie Afghanistan, Irak, DR Kongo, dann scheint es naheliegend, nach verstärktem Schulterschluss zwischen Hilfsorganisationen und Militärs zu rufen. Der damalige Verteidigungsminister Struck hat 2002 (oder 2003), als die ersten deutschen ISAF-Soldaten nach Afghanistan geschickt wurden, gegenüber dem Bundestag und der deutschen Öffentlichkeit den Einsatz vor allem damit begründet, man müsse die zivilen Wiederaufbauhelfer beschützen.
Abgesehen davon, dass es sich dabei um ein vorgeschobenes Argument handelte und dass NRO gar nicht nach einem solchen Schutz gerufen hatten, waren sich die in Afghanistan tätigen NRO weitgehend einig, dass eine verstärkte Zusammenarbeit mit Streitkräften nicht die richtige Antwort auf die zunehmende Sicherheitsbedrohung der Helfer wäre.
Warum nicht?
- Weil eine Zusammenarbeit zwischen NRO und Streitkräften zu einer Verwischung der Grenze zwischen den Mandaten und Aufgaben von humanitären Organisationen und Militärs führt. Sie steht im Widerspruch zur gebotenen Unabhängigkeit und Neutralität der NRO und macht diese unglaubwürdig.
- Wenn Streitkräfte selber Aufbauprojekte oder Maßnahmen der humanitären Hilfe durchführen - sei es im Rahmen ihres eigenen CIMIC-Konzepts oder im Auftrag von Hilfsorganisationen, im Extremfall sogar noch unter Aufgabe der äußeren Erkennbarkeit als Militärs (zivile weiße Fahrzeuge), führt dies zu einer erhöhten Gefährdung für NRO, weil die auch sichtbare Unterscheidbarkeit nicht mehr gegeben ist.
- Eine besondere Form der Zusammenarbeit mit Streitkräften ist die militärische Absicherung von Hilfsmaßnahmen. Über die Problematik von militärischem Schutz wird in diesem Workshop an anderer Stelle gesprochen. Der Aktionsradius und Handlungsspielraum der NRO wird erheblich eingeschränkt, wenn die Mitarbeiter sich aus Sicherheitsgründen außerhalb ihrer - militärisch geschützten - Büros und Wohnungen nur unter militärischem Schutz, d.h. in Begleitung von bewaffneten Schutz- und Sicherheitskräften bewegen können.
- Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Nähe zum Militär bzw. das Absichern der eigenen Arbeit durch militärischen Schutz die Gefahr von Angriffen erhöht statt reduziert - man begibt sich zur Zielscheibe hin anstatt sich von ihr zu entfernen! Es ist ja keineswegs so, als ob militärisches Personal und militärische Einrichtungen nicht angegriffen würden.
- Das eigentliche Problem ist aber weitaus grundsätzlicher: Es gehört nun mal zum Selbstverständnis und Auftrag von Streitkräften - auch wenn sie in defensiver und friedlicher Mission auftreten -, im Gegenüber einen potenziellen Feind und Angreifer zu sehen und diesem ggf. mit der Anwendung von Gewalt zu drohen. Dafür ist man ja schließlich bewaffnet. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass es Feinde gibt, gegen die man gewappnet = gerüstet = bewaffnet sein muss, um den feindlichen Angriff notfalls mit Gewalt abwehren zu können, oder um die gesellschaftliche Ordnung gegen Störer unter Einsatz von Gewalt zu verteidigen oder wiederherzustellen. Daraus ergibt sich ein grundlegender Widerspruch zum Konzept der Hilfe, das auf einer vertrauensvollen Zusammenarbeit mit der lokalen Bevölkerung beruht. Vertrauen und Androhung von Gewalt passen schlecht zueinander, insbesondere dann, wenn die Bevölkerung, der die Hilfe gilt, schlechte Erfahrungen mit einheimischen Militärs oder Besatzungstruppen gemacht hat.
Warum Vertrauen die bessere Alternative ist:
Was ist nun die Alternative? Wenn Nähe zum Militär kein wirksames Sicherheitskonzept für NRO ist, kann es dann das vielbeschworene Konzept der "Akzeptanz" sein - wobei ich lieber von Vertrauen anstelle von Akzeptanz sprechen möchte. Viele NRO vertreten die Auffassung - und können auch entsprechende Erfahrungen dafür anführen - dass ein vertrauensvolles Verhältnis zur Bevölkerung, mit der sie arbeiten, einen weitaus besseren Schutz vor gewaltsamen Übergriffen bietet.
- Vertrauen ist eine "riskante Vorleistung" (N. Luhmann), weil die soziale Komplexität, der sich eine NRO im jeweiligen Kontext gegenübersieht, nicht ohne weiteres durch Vertrauen aufgelöst werden kann. Die Vorleistung besteht darin, dass man dem Gegenüber Gutes unterstellt und ihn nicht von vornherein zum potenziellen Feind erklärt, gegenüber dem man grundsätzlich misstrauisch sein muss.
- Vertrauen ist außerdem ein wechselseitiger Prozess und basiert auf gemeinsamen Werten und Normen. Wo wechselseitiges Vertrauen herrscht, wird ein freundschaftlicher und offener Umgang gepflegt. Man weiß, was man von dem Anderen zu halten hat, man sorgt sich um das Wohlergehen des Gegenübers. Menschen, die die NRO und ihre Mitarbeiter als unvoreingenommen, neutral, zuverlässig, glaubwürdig usw. erleben, werden unterscheiden ausländischen Besatzern, zu denen man möglicherweise eine ablehnende oder feindliche Haltung entwickelt hat, und den Entwicklungshelfern, die mit den Besatzern keine gemeinsame Sache machen.
- Wenn die Menschen außerdem die Erfahrung machen, dass die Anwesenheit der NRO einen konkreten Nutzen für sie und ihr Gemeinwesen bringt, werden sie ein Interesse daran haben, dass diese Arbeit fortgesetzt wird.
- Vertrauen wird geschaffen vor allem durch Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit. Damit ist klar, dass Vertrauen nur über einen längeren Zeitraum der Zusammenarbeit entwickelt werden kann. Bei einem nur kurzfristigen Auftreten einer NRO vor Ort ist Vertrauen als Sicherheitskonzept ungeeignet.
- Kommunikation ist die Grundvoraussetzung für Zusammenarbeit. Die kann aber nur gelingen, wenn eine personale Beziehung aufgebaut wird, die nicht auf der Androhung von Gewalt und damit auf Einschüchterung basiert. Streitkräfte können solche vertrauensvollen Beziehungen zur lokalen Bevölkerung nicht aufbauen, auch wenn sie das gerne behaupten, weil die Bewaffnung und die eigenen Sicherheitsvorkehrungen eine unüberbrückbare Distanz schaffen, weil es Kommunikationsprobleme (Sprache) gibt, und weil die Einsätze i.d.R. nur wenige Monate betragen, etc.
Fazit
Distanz zum Militär und Akzeptanz und Vertrauen im lokalen Umfeld tragen dazu bei, die Sicherheit von Hilfsorganisationen zu erhöhen. Soweit die reine Lehre. Die Erfahrung zeigt, dass der jeweils spezifische Kontext dazu zwingt, genau zu prüfen, welches Sicherheitskonzept besser passt. Das Konzept des Vertrauens findet da seine Grenzen, wo man auf aggressive und feindlich gesinnte Personen und Institutionen trifft, die sich jeden Dialog verweigern. Es gibt zweifellos außergewöhnliche Situationen, in denen eine Zusammenarbeit mit Streitkräften notwendig ist, wenn zum Beispiel nur so eine akut notleidende Bevölkerung versorgt werden kann. Das kann aber nicht heißen, dass militärischer Schutz bzw. Zusammenarbeit mit Streitkräften zur alltäglichen Gewohnheit werden darf.
April 2009