Flüchtlinge helfen Flüchtlingen
Jordanien/Libanon, 31. Juli 2012
Um Hilfe zu bitten ist nicht leicht. Es ist eine unangenehme Situation. Viele syrische Flüchtlinge erzählen davon, wie es ist, sich so schwach zu fühlen. Wie schwer es ihnen fällt, die Hand aufzuhalten. Sie, die als Bauern, Ärzte, Handwerker oder Krankenschwestern gewohnt sind, den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien mit der eigenen Hände Arbeit zu verdienen.
Registrierung von syrischen Flüchtlingen in Mafraq Achim Reinke, Caritas international
80 Prozent der Flüchtlinge sind Frauen und Kinder. Die Männer harren auf Grund und Boden aus, um das Eigentum zu schützen, oder sind im Krieg (z.T. zwangsverpflichtet). Die Frauen sind (in Konvois oder allein) geflohen, um ihre Kinder in Sicherheit zu bringen.
Die Aufnahmeländer halten ihre Grenzen nach wie vor offen und sind sehr gastfreundlich, insbesondere Jordanien. In Jordanien leben nur 6 Millionen Einwohner (Libanon 4,5), das Land hat große Schwierigkeiten für die eigene Bevölkerung die Wasser- und Stromversorgung sicherzustellen. Der massive Flüchtlingsstrom stellt für diese Länder wirklich eine Bürde da. Die Gefahr, dass es zu Spannungen kommt (z.B. wegen Spannungen um Arbeit als - illegale -Tagelöhner), ist real. Die Eröffnung des Flüchtlingslagers Zaatari in Jordanien kann deshalb auch als Hilfsschrei an die Weltöffentlichkeit verstanden werden.
Im Libanon kommen die meisten syrischen Flüchtlinge wegen der geographischen Lage aus Homs und Damaskus. Insbesondere nach dem Ausbruch der Kämpfe in Damaskus gab es einen massiven Zustrom von Flüchtlingen: 18.000 an einem Tag, so viele wie sonst in einem Monat. In Jordanien kommen die Flüchtlinge aus Idlib etc. In beiden Ländern ist der Standard immer noch die Unterbringung in Garagen, Scheunen, Kellerlöchern gegen Miete. Im Libanon gibt es auch Gastfamilien, die umsonst die Menschen aufnehmen zirka drei Mal so viel wie in Syrien).
Was sicher hilft, das ist, wenn der Helfer schon selbst einmal auf Hilfe angewiesen war. Wenn er selbst ein Flüchtling war. So wie Aamer Khuweiled. Er kam vor zehn Monaten mit seiner Familie als Flüchtling in Jordanien an, weil sein Haus zerschossen worden war. 126 Euro hatte er in der Tasche. Als er nach Hilfe fragte, schickten ihn die Leute zur Caritas in Mafraq. Mit Lebensmitteln und ärztlicher Hilfe fing es an. Heute arbeitet der 25-jährige Muslim als Freiwilliger bei Caritas. Er spricht mit den neuankommenden syrischen Flüchtlingen, fragt nach ihrer Geschichte und was sie brauchen, hilft überall, wo Not am Mann ist. "Es ist gut, etwas zu tun", sagt Amer Khuweiled. "Das gibt mir Kraft, unser Schicksal zu ertragen."
Amer ist einer von vielen. Dr. Joman Al-Butani kam vor fünf Jahren aus dem Irak nach Jordanien. Damals fanden 700.000 Iraker nach Jordanien. Dr. Al-Butani war eine von ihnen. Heute arbeitet sie als Ärztin bei Caritas, untersucht Schussverletzungen, gibt Medikamente bei chronischen Erkrankungen und überweist Gebärende ans Hospital. "Ich weiß, wie es ist Hilfe zu brauchen", sagt sie. Jetzt gibt sie Hilfe. In Jordanien wissen alle Mitarbeiter: Jeder kann zum Flüchtling werden.
30. Juli 2012, Mafraq (Jordanien)
750 Menschen haben heute Morgen im Innenhof der Caritas in Mafraq um Hilfe gebeten. Mafraq ist eines von sechs Caritas-Zentren entlang der jordanisch-syrischen Grenze, in denen den syrischen Flüchtlingen Hilfe geleistet wird. 750 Menschen an einem Tag. So geht das Tag für Tag. Jeder wird nach seiner Geschichte und seinen Lebensumständen gefragt, bei jedem wird die Notlage überprüft. Dann werden die Menschen zum Caritas-Arzt überwiesen oder sie werden für die Verteilung von Hilfspaketen mit Lebensmitteln, Seife, Shampoo und vielem mehr vorgemerkt. 16 Freiwillige und vier hauptamtliche Mitarbeiter sind dafür im Einsatz.
Aber das ist nicht alles. "Es geht uns nicht nur um die Verteilung von Hilfspaketen", erklärt mir Jameel Dababneh. Er ist Nothilfe-Koordinator der Caritas Jordanien. "Es braucht auch ein Herz. Die Menschen sollen spüren, dass sie unsere Brüder und Schwestern sind." Auf Schildern in ihren Büros haben sie das in den Satz gefügt: "Caritas ist kein Job, sondern eine Berufung."
Das Leben als Flüchtling kann sehr demütigend sein. Wir haben das gestern bei der Eröffnung des Flüchtlingslagers Zaatari erlebt, dem ersten aus jordanischem Boden. Zusammengepfercht auf einem ehemaligen Militärgelände sollen dort bis zu 120.000 Menschen in der Gluthitze der Sommersonne im staubigen Wüstensand ausharren. Caritas Jordanien versucht einen anderen Weg zu gehen und versorgt die Menschen vor Ort in den Städten und Dörfern. Auch das ist ein schweres Leben. Aber es bietet ein Mindestmaß an menschlicher Würde und Selbstbestimmung. Zelt oder Haus? Diese Frage wird vermutlich in den nächsten Tagen und Wochen noch heiß diskutiert werden.
Für die 18-jährige Hessen, die wir mit ihrem 15 Monate alten Sohn in einem Kellerloch treffen, ist die Antwort klar: Nie würde sie in ein Lager gehen. Sie hat sich noch nicht einmal bei der UNHCR, dem UN-Flüchtlingshilfswerk, registrieren lassen. "Ich will nicht als Flüchtling bezeichnet werden. Ich bin ein Mensch", sagt sie uns, während ihr Baby neben ihr schläft. Es ist nicht die einzige Antwort dieser Art, die wir hören.
29. Juli 2012, Zaatari (Jordanien) Als ich im Hotel meine Kleidung zu Boden werfe, färbt sich der Boden rot. Das ist der Staub, der sich in Zaatari auf meinen Körper gelegt hat. Der in meine Nasenlöcher und in meine Haare gekrochen ist. Der noch immer in meinen Augen brennt. Das ist der Staub, den bald Tausende von syrischen Flüchtlingen tagtäglich ertragen müssen, während die Sommersonne mit 40 Grad Celsius vom Himmel sticht. Zaatari ist ein unbarmherziger Ort, 11 Kilometer von der syrischen Grenze, mitten in der jordanischen Wüste. Und doch soll dieser Ort für bis zu 120.000 Menschen, die der Gewalt in ihrer syrischen Heimat entflohen sind, zum sicheren Hafen werden. Es ist das erste Lager für syrische Flüchtlinge in Jordanien.
Auf der Eröffnungsfeier des Camps, zu der wir eingeladen worden sind, versichern alle, dass die Flüchtlinge freiwillig hierherkommen sollen. Niemand werde gezwungen, in das Lager zu gehen. Minister sind da, Ü-Wagen der TV-Sender dutzendweise, Hilfsorganisationen. Ich denke nicht, dass mir die Unwahrheit erzählt wird, aber ich habe nicht genug Phantasie, mir die Verzweiflung auszumalen, die Menschen verspüren müssen, damit dieses Lager das Gefühl eines sicheren Hafens vermittelt.
Die Vorstellung, dass dieser Ort das Erste sein wird, was die Menschen erleben, wenn sie die Todesangst ihrer Flucht aus Syrien hinter sich gelassen haben, löst Beklemmung aus. Es ist ein beschämender Ort. Für alle. Der jordanische Innenminister entschuldigt sich auf der Eröffnungszeremonie quasi stellvertretend, als er sagt: "Die Realität hat uns gezwungen, dieses Lager zu eröffnen. Wir haben so viele Syrer in unseren Häusern aufgenommen, aber der Druck war zu groß. Die Krise ließ uns keine Wahl." Das stimmt. Jordanien ist ein gastfreundliches Land. War es immer: Schon für die Palästinenser und die Iraker, die in der Vergangenheit millionenfach ins Land geströmt sind. Und auch jetzt öffnet sich das Land, das nur sechs Millionen Einwohner hat, wieder für die Notleidenden. Aber während im Juni noch 400 Syrer täglich über die Grenze ankamen, sind es jetzt im Schnitt 2000. Insgesamt bereits 150.000. Das ist zu viel. Die Gastfreundschaft zerreißt das Land förmlich. Dieses Flüchtlingslager ist deshalb auch ein Hilfeschrei an die Welt.
Caritas Jordanien ist gefragt worden, in Zaatari Flüchtlingshilfe zu leisten. Gemeinsam mit meinen Kollegen zerbreche ich mir auf der Rückfahrt in die Hauptstadt Amman den Kopf darüber, wie auf diese Anfrage reagiert werden sollte. Bislang hilft Caritas mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln vor Ort in den Dörfern und Städten. Auch dort ist das Leben der Flüchtlinge schwer. Sie hausen in - oft zu Wucherpreisen - privat gemieteten Garagen, Scheunen und Kellern. Verstreut im ganzen Land. Oft auf dem nackten Boden. Die jordanischen Caritas-Mitarbeiter bringen ihnen das Lebensnotwendigste und vermitteln medizinische Hilfe. Sie bieten ein Minimum an sozialem Leben, menschlicher Würde und Selbstbestimmung. Wir fragen uns, wie lange das so noch möglich ist. Wir alle wissen: Wenn der Konflikt weiter eskaliert, der Krieg weiter in die großen syrischen Städte wie Damaskus und Aleppo getragen wird, wird es viele Lager wie in Zaatari geben.
Achim Reinke