Geschichte einer syrischen Flüchtlingsfamilie
Flucht unter Beschuß auf der Laderampe: Zaina und ihre Kinder sind endlich angekommen.Alexander Bühler
Zaina genießt die Stille in der libanesischen Kleinstadt im Bekaa-Tal, in die sie flüchten konnte. Noch vor zwei Stunden wurde auf sie und ihre drei Kinder geschossen, jetzt merkt sie, dass sie in Sicherheit ist.
Drei Tage lang saß sie mit ihrer Familie im Haus fest, sie konnten nur das essen, was sich gerade im Haus befand. Denn die syrischen Sicherheitskräfte bombardierten ihre Stadt Qusayr. Jede Bewegung außerhalb des Hauses hätte ein tödliches Risiko bedeutet. Irgendwann nahm sie allen Mut zusammen und brach auf. Für die knapp 20 Kilometer bis zur syrisch-libanesischen Grenze brauchte sie drei Tage.
Drei Tage, in denen Panzer auf sie schossen, in denen ihr Schwager durch einen Granatsplitter ins Bein verletzt wurde. Selbst als sie von der syrischen Grenze zur libanesischen Seite liefen, wurde ihre kleine Gruppe von Flüchtlingen noch angegriffen. Die erste Wohltat erhielt sie durch libanesische Grenzbeamte, die ihr und anderen Syrern etwas zu essen gaben.
Dann hievten sie sie zusammen mit 14 anderen Frauen und Kindern auf den zufällig passierenden Pick-Up eines Privatmannes, der sie ans Ziel brachte. Zu Verwandten, die sich ebenfalls schon in die libanesische Stadt geflüchtet hatten. Als sie ankamen, weinten alle, die Angst hatte sie noch fest im Griff, sie konnten die erfolgreiche Flucht kaum fassen. Ganz vorsichtig reichten die Flüchtlinge ein Baby von der Ladefläche herunter, das in Decken eingewickelt war.
"Ein Waisenkind", sagt die junge Frau. Was genau mit den Eltern passiert ist, kann - oder will - sie nicht sagen, fest steht nur, dass sich jetzt alle um das Kind mit kümmern werden. Die anderen Kinder haben vom Weinen rot geäderte Augen, blicken sich verängstigt um. Ariam, die dreijährige Tochter Zainas, will gar nicht mehr von ihrem Arm herunter, klammert sich fest. Als die Fehlzündung eines Autos zwischen den Häuserwänden widerhallt, zucken alle erschrocken zusammen. Noch kann die junge Frau nicht genau benennen, was sie braucht, "Ein Dach über dem Kopf", meint sie tapfer.
Die Sozialarbeiterin der Caritas, Bernadette Hajj- Moussa, steht lächelnd neben ihr, auch sie freut sich, dass der jungen Frau die Flucht gelungen ist. Während die Kinder noch das wenige Gepäck aus Decken und Kleidungsstücken gegen die Kälte ins Haus tragen, erklärt sie, dass die Caritas als erste Maßnahme so schnell wie möglich Nahrungsmittelpakete verteilen wird. Sie und die Hilfsorganisation werden die Flüchtlinge jetzt nicht im Stich lassen.
von Alexander Bühler, April 2012