Haiti: Zwei Jahre danach
Stefan Teplan: Das schwere Erdbeben von Haiti liegt nun zwei Jahre zurück. Bekanntlich gab und gibt es beim Wiederaufbau große Schwierigkeiten, auch für Caritas international. Welche Bilanz können Sie diesbezüglich nach zwei Jahren ziehen?
Jörg Kaiser erläutert Fotos der Haiti-Ausstellung Caritas international
Nach zwei Jahren kann Caritas international eine positive Bilanz ziehen, trotz der von Ihnen erwähnten Schwierigkeiten, die wir immer offen kommuniziert haben. Nun können wir aber auch große Fortschritte melden, denn insbesondere in den letzten acht Monaten kamen wir in allen Bereichen sehr gut voran.
Es gab also offenbar einen bestimmten Wendepunkt, ab dem dieser Wandel eintrat. Was war letztlich der Auslöser?
Das war eindeutig der Einsatz eigener Fachkräfte in allen großen Bereichen. Mit diesen Fachkräften - in Zusammenarbeit mit den haitianischen Kolleginnen und Kollegen - kommen wir sehr gut voran. Die Schwierigkeiten im Land bleiben ja dieselben, die wir auch schon vor zwei Jahren hatten. Die politische Situation ist nach wie vor insofern ungeklärt als es keinen Masterplan für den Wiederaufbau gibt. Seit April/Mai 2011 aber haben wir in Haiti den größten Stab an internationalen Mitarbeiter(inn)en, den der Deutsche Caritasverband je im Ausland einsetzte.
Wie groß ist dieser Stab?
Sieben Leute stehen direkt bei Caritas international unter Vertrag. Dazu kommen drei, die für die angegliederten Organisationen arbeiten. Darüber hinaus sind noch drei Berater regelmäßig vor Ort. Dreizehn Leute also insgesamt.
In welchen Bereichen und Projekten sind diese Fachkräfte tätig?
Zum einen ist da das Asil St. Vincent de Paul in Léogâne, ein Heim für alte Menschen und für Menschen mit Behinderung, dem noch eine Grundschule angegliedert ist. Die Grundschule ist mittlerweile fertiggestellt und der Bau des eigentlichen Altenheims beginnt. Dadurch dass wir eine eigene Bauingenieurin vor Ort haben, läuft dort alles wirklich gut. Ein weiteres Projekt ist das Berufsbildungszentrum in Léogâne. Die Organisation "Pro Haiti" hat mit uns in nur einem Jahr ein Zentrum aufgebaut, das nach deutschem dualen Vorbild bis zu 460 Auszubildenden Berufsbildungschancen ermöglicht. Die Ausbildungskurse haben im November 2012 begonnen. Träger des Projekts ist die Erzdiözese Port-au-Prince. Mit der Caritas Schweiz bauen wir derzeit auch eine Schule im Hinterland von Gressiere. In Croix des Bouquets östlich von Port-au-Prince beginnen wir, in Zusammenarbeit mit der Caritas Österreich, bald mit dem Bau eines Mädchenwohnheims.
Sie sprachen bislang Bauprojekte an. Wie sieht es in der sozialen Arbeit und der medizinischen Versorgung aus?
Im Bereich der medizinischen Arbeit kooperieren wir weiterhin mit dem Missionsärztlichen Institut, das die medizinische Regelversorgung in Léogâne sicher stellt und in der Cholera-Prävention und -bekämpfung viel leistet. Für die soziale Arbeit haben wir mit Kolleginnen und Kollegen aus Haiti ein Konzept ausgearbeitet. Darauf basierend gestalten wir derzeit auch ein Konzept für die Altenarbeit. In Léogâne, Jacmel und Miragoâne, eventuell bald auch an anderen Standorten Haitis, bauen wir - in Zusammenarbeit mit der Organisation Ipso - ein psychosoziales Pilotzentrum auf. Das Bauprogramm und die soziale Arbeit gehen Hand in Hand. Am 20. Januar wird in Miragoâne der Grundstein für ein Pilotprojekt mit zehn festen Häusern gelegt, das auch der Entwicklung der sozialen Prozesse, die wir durchführen wollen, dient. Bautechnisch ist dabei auch entscheidend, ob die Häuser auch so akzeptiert werden wie sie geplant sind. Voraussetzung für ein würdiges Leben ist ja unter anderem auch ein Haus, in dem man sich wohl fühlt. Das ist noch ein Prozess den man zusammen mit der Bevölkerung durchspielen muss. Und dazu gehört nicht nur die Aufteilung der Räume, sondern ganz wesentlich auch die Frage nach Toilette und Waschgelegenheit. Und da gehen die Meinungen immer weit ausauseinander. Soll man die Menschen daran gewöhnen, Toilette und Bad in das Haus zu integrieren oder macht man sie draußen?
Welches Konzept verfolgen Sie in der psychosozialen Arbeit?
Wir arbeiten am Selbstbild der Menschen. Immer wieder erfahren wir in Gesprächen mit Haitianern, dass die Zugehörige der niedrigsten sozialen Klasse sich weder als Menschen sehen noch als solche sozial anerkannt werden. Die soziale Desintegration dieser Menschen ermöglicht letztlich sogar Auswüchse wie den Kinderhandel. Zur psychosozialen Arbeit gehört aber auch das Verhältnis zur Geschichte und zur Fremdbestimmung; dies alles hat ja die Haitianer in ihrem Selbstbild geformt.
Was wird getan, um der armen Bevölkerung in Haiti wirtschaftlich bessere Perspektiven zu eröffnen?
Die Begünstigten erhalten Fortbildungen, die ihnen zu besseren Einnahmen verhelfen sollen. Auch das erwähnte Wiederaufbauprojekt ist mit Einkommen schaffenden Maßnahmen verbunden.
Wie lange wird der Wiederaufbau noch dauern und welche Schritte sind für die weitere Zukunft geplant?
Nach dem Erdbeben gingen wir von fünf Jahren für den Wiederaufbau aus. Zwei schwierige, aber im Ergebnis auch erfolgreiche Jahre, auf die wir zurückblicken können, liegen nun hinter uns und wir müssen sehen, ob alle geplanten Maßnahmen binnen drei Jahren machbar sind. Die soziale Arbeit, damit sie nachhaltig bleibt, wird sicher noch länger als drei Jahre fortgeführt werden müssen. Konkret für die nähere Zukunft kann ich sagen: Wir gehen im Jahr 2012 die Altenarbeit in Haiti an. Noch im Januar wird unsere dafür zuständige Beraterin für einen Monat nach Haiti reisen und daran arbeiten. Etwas später im Jahr wird eine weitere Beraterin in Zusammenarbeit mit einer Pfarrei, mit der wir schon seit vielen Jahren gut und vertrauensvoll zusammenarbeiten, Fragen bezüglich der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in den Straßen von Port-au-Prince besprechen.
Januar 2012
Interview: Stefan Teplan