Landraub dort - günstiges Essen hier
Wer sich über den Hunger weltweit informiert, muss sich der moralischen Frage stellen: Wie viel und was sind wir als Konsumenten bereit zu leugnen, damit wir mit gutem Gewissen zu Dumping-Preisen einkaufen können?
Marco Keller - Filmemacher und MedienpädagogeMarco Keller
Der deutsche Journalist, Dokumentarfilmer und Fotograf Marco Keller kennt sich bestens in Brasilien aus. Im Caritas Netzwerk ist er bekannt für sein dortiges Engagement für Jugendliche. Ein Jahr lang haben jugendliche Protagonisten, aus Armutsvierteln der Millionenstadt Recife, Szenen ihres Alltags mit der Kamera festgehalten. In einem gemeinsamen Projekt mit Caritas international und der lokalen Partnerorganisation ADOLECER brachte er Kindern und Jugendlichen, im Alter von 11 bis 25 Jahren, zunächst den Umgang mit der Kamera bei. Dann lud er sie ein, ihr soziales Umfeld - ihre Familien, Freunde und Nachbarschaft - durch die Linse ihrer Kameras ins Auge zu fassen. Dabei gewannen sie eine neue Sicht auf sich und ihre Umwelt. Letztendlich bietet Keller den Jugendlichen ein Medium, das sie teilhaben lässt an der Gesellschaft. Ihre Lebensrealität rücken sie selber in den Fokus. Über sein Engagement hinaus, nutzt Keller seine Profession, um uns hier in Deutschland auf Missstände in Brasilien hinzuweisen, die vielleicht nicht bekannt sind oder über die allzu gerne hin weggeschaut wird, da sie direkt mit unserem Konsumverhalten im Zusammenhang stehen.
Keller hat sich hierzulande einen Namen gemacht u.a. durch seinen preisgekrönten Dokumentarfilm "Kahlschlag" (2011), in dem es um den Raubbau am brasilianischen Regenwald durch internationale Großkonzerne der Holzindustrie und Landwirtschaft geht. In seiner neusten Dokumentation "Gutes Soja - schlechtes Soja" (2013) greift er dieses Thema wieder auf und berichtet über die Zusammenhänge unseres Konsumverhaltens mit Hunger, Umweltverschmutzung und Menschenrechtsverletzungen in Brasilien.
Nahrungsmittellieferant Brasilien
Mato Grosso do Sul: Genmanipuliertes Soja für die Tierfutterindustrie (Foto: Marco Keller)
Das Schwellenland Brasilien ist einer der größten Lebensmittel-Exporteure der Welt. Beliefert werden vor allem Europa, China und die USA. Brasilien ist führend im Export von Soja und Rindfleisch. Soja ist eine der wichtigsten Eiweiß-Quellen der Welt, es wird auf riesigen Flächen angebaut und größtenteils als Tierfutter verwendet. Mit drastischen Folgen für Mensch und Umwelt. Für internationale Großkonzerne der Agrarindustrie ist das Land der perfekte Lieferant: "Während im Süden des Landes die Erntezeit zu Ende geht, keimen im Norden schon wieder die ersten Samen" (Dokumentation: "Gutes Soja - schlechtes Soja"). Da die Nachfrage nach Soja weltweit steigt, setzten die Produzenten vermehrt auf Gen-Saatgut.
Deutlich wird in Kellers Dokumentation, dass der Lebensmittel-Preis von internationalen Konzernen bestimmt wird. Grundnahrungsmittel wie Soja sind längst zur Spekulations-Ware verkommen, mit der sich Milliardengewinne erzielen lassen. In Brasilien lagern die internationalen Groß-Konzerne, in riesigen Silos, Tonnen von Soja um sie im richtigen Moment auf den Markt zu bringen. Der Profit steht im Vordergrund. Der Präsident des Deutschen Caritasverbandes, Dr. Peter Neher, kritisiert die Spekulation auf Lebensmittel aufs schärfste: "Rund eine Milliarde Menschen leiden an Hunger. Dabei werden mehr als genug Nahrungsmittel produziert, um alle Menschen zu versorgen. Für viele ist das tägliche Brot schlichtweg unerschwinglich geworden." Neher ermahnt weiter: "Worüber die einen jubeln - hohe Gewinne durch Preissteigerung - kann für Familien zum Beispiel in Afrika das Todesurteil bedeuten."
Das Volk der Guaraní-Kaiowá und der Landraub
Die Guaraní Kaiowa besetzen ihr ursprüngliches Land (Foto: Marco Keller)
Marco Keller zeigt in seiner Dokumentation Bilder von endlosen Weiten: Trockene, rote, staubige Erde. Einst war die Heimat der indigenen Bevölkerung der Guaraní-Kaiowá ein zusammenhängendes, feuchtes Tropenwald-Gebiet. Heute arbeiten sie als Tagelöhner auf den Soja-Plantagen. Die Hitze lässt die Luft spiegeln. Die Landschaft wurde durch Menschenhand in eine Agrarwüste verwandelt. Die Guaraní-Kaiowá sind die Verlierer der Agrarwirtschaft. Von den Milliardengewinnen kommt bei ihnen nichts an. Ein Paradox, die Bevölkerung eines der größten Agrarländer leidet an Hunger und wird ihrer Rechte beraubt. "Durch die wachsende Nachfrage von Soja, kommt es immer häufiger zu Konflikten um das Land der indigenen Bevölkerung", so Keller in seiner Dokumentation. Die Rodung der Tropenwälder wird häufig auf illegale Weise vorangetrieben um immer mehr Anbau- und Weideflächen zu schaffen. Die Bevölkerung muss weichen und wird von den Großgrundbesitzern vertrieben.
Marco Keller schildert die dramatischen Folgen dieses Landraubs, Landgrabbing genannt, und lässt die Bevölkerung selbst von den zunehmenden Konflikten berichten. Alles sei verseucht, die Erde voller Pestizide und das Trinkwasser ungenießbar. Als ein 15-jähriger Indio beim Angeln am Teich eines Farmers erwischt wurde, wurde er kaltblütig erschossen. Die Hinterbliebenen haben nun das Land des Großgrundbesitzers besetzt und fordern Aufklärung. Das es Tote gibt, sei kein Einzelfall. Immer wieder gehen die Großgrundbesitzer rücksichtslos gegen die indigene Bevölkerung vor. 50 Angehörige des Stamms der Guaraní-Kaiowá wurden bereits ermordet. Sie fühlen sich entrechtet und im Stich gelassen. Wegen Produktionsausfall sollen sie sogar Entschädigungszahlungen an die Großgrundbesitzer zahlen. Die Not ist so groß, das die Guaraní-Kaiowá nur noch durch Hilfsgüter überleben können. Trotzdem kommt es vor das Kinder verhungern.
Die billigen Preise täuschen - Folgen für die Umwelt und Menschen
Wir Konsumenten haben eine moralische Verantwortung. Während in Brasilien ein Teil der Bevölkerung für unser Wohl ausgebeutet wird, sind günstige Lebensmittel hier für die meisten selbstverständlich. "Die Ärmsten der Welt geben rund drei Viertel ihres spärlichen Einkommens für Essen aus. Ein paar Cent an der Börse werden für sie ganz schnell zu einer Frage des Überlebens", kommentiert Dr. Neher zur Lage in Afrika.
Der Gen-Soja der in Brasilien angebaut wird, landet auch auf unserm Teller. Er wird auch hier in Deutschland als Tierfutter zum Beispiel in der Schweineindustrie verfüttert. Um in den gefüllten Kühltheken günstige Schweine-Produkte anbieten zu können, werden Umweltzerstörung, Landraub und Menschrechtsverletzungen in Kauf genommen. Würde diese Seite der Medaille genauer betrachtet und die Kosten für die Umweltverschmutzung addiert, längst würden wir die Produktionsbedingungen, die Herstellungskette, und die Folgen für Mensch und Umwelt genau hinterfragen. Oft haben die kleinen Landwirte hier in Deutschland keine Wahl, sie stehen unter einem gewaltigen Wettbewerbsdruck. Wenn die Konsumenten bereit wären, mehr zu zahlen würden sie keinen Gen-Soja, sondern alternativ einheimisches Getreide verfüttern. Noch wird auch dieser in Brasilien hergestellt. Das Pestizid Glyphosat, das beim Gen-Soja-Anbau eingesetzt wird, lässt sich in der Muttermilch nachweisen und steht in Verdacht Krebserkrankungen auszulösen.
Die Welt-Bevölkerung wächst stetig. Die Antwort auf den Hunger weltweit können nicht immer größere Anbauflächen und effizientere Anbaumethoden sein, sondern ein Umdenken eines jeden Herstellers und Verbrauchers. Wird Soja etwa nicht als Tierfutter genutzt, sondern als Grundnahrungsmittel, könnten wesentlich mehr Menschen dieser Erde mit Nahrung versorgt werden. "Uns muss bewusst sein, dass der tägliche Fleischkonsum negative Auswirkungen mit sich bringt, besonders in Südamerika, wo Umweltzerstörung und Landvertreibung zur Tagesordnung gehören", so Marco Keller zur Verwendung von Soja als Tierfutter. Er wünscht sich einen reflektierten Umgang mit Lebensmitteln.
Die Caritas-Kampagne "One Human Family, Food For All"
Die "One Human Family, Food For All" Kampagne der Caritas hat zum Ziel, auf das Menschenrecht auf Essen hinzuweisen. Der verschwenderische Umgang mit Essen, der Anspruch auf Supermarkt-Regale die 24 Stunden am Tag gefüllt sein müssen, damit die Kunden zufrieden sind, muss aufhören. Weitere Gründe für den weltweiten Hunger sind zum Beispiel bewaffnete Konflikte und Kriege sowie die Produktion von Agrotreibstoffen.
Caritas international, das Hilfswerk des Deutschen Caritasverbandes, unterstützt weltweit die nachhaltige Katastrophenprävention. Die Ernährungssicherheit und ein Leben in Würde für mittellose Familien stehen dabei an erster Stelle. Das Hilfswerk reagiert mit seinem Engagement auf weltweite humanitäre Krisen und Konflikte und unterstützt Präventionsmaßnahmen um die Auswirkungen für die Bevölkerung im Katastrophenfall möglichst gering zu halten. Die gemeindebasierte Arbeit, in der die Bevölkerung nachhaltig eingebunden wird, steht dabei im Vordergrund. Beispiele für das Engagement von Caritas international können sie auf der Homepage zur Aktion "Foodsharing" nachlesen - einen digitale Spendenaktion via Facebook App, mit der Projekte gegen den Hunger unterstützt werden können. Welche Auswirkungen der Klimawandel, in Bezug auf die Nahrungssicherheit hat, erfahren sie in diesem Interview mit Roberto Castillo, unserem Experten für Katastrophenprävention. Da durch die industrielle Ausbeutung der Erde in Brasilien das Grundwasser langsam versickert und die Erde zunehmend erodiert, unterstützt die Caritas international in ländlichen Regionen den Bau von Brunnen.