„Wir standen am Rande des Zusammenbruchs, jetzt stirbt unser Land“
„Trotz der Tatsache, dass unser Land wirtschaftlich schwierige Zeiten durchlebt, ging es meinem Geschäft gut”, berichtet der 27-jährige Maher Metri. Der junge Geschäftsmann eröffnete dieses Jahr einen Frisörsalon in einem belebten Stadtviertel - nur zwei Kilometer von Beiruts Hafen entfernt. Mit diesem Geschäft konnte er seinen Lebensunterhalt gut bestreiten. Damit ging es ihm besser als 200.000 anderen Libanesinnen und Libanesen, die laut Weltbank 2019 in Armut lebten.
Die Aufräumarbeiten nach der Explosion werden noch einige Zeit in Anspruch nehmen.Caritas Libanon
Libanon droht eine Hungerkrise
Grund für die große Armut im Land ist die tiefe Wirtschafts- und Staatskrise des Landes. Seit Oktober 2019 verlor das Libanesische Pfund gegenüber dem US-Dollar rund 85 Prozent an Wert. Eine der dramatischen Folgen: steigende und für viele unbezahlbare Lebensmittelpreise. Diese lagen im April dieses Jahres fast 60 Prozent höher als noch im Oktober 2019, so die Experten vom Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen. „Und sie werden durch die Explosion weiter steigen”, befürchtet Regina Kaltenbach, Libanon-Referentin von Caritas international. Denn über 85 Prozent aller Waren, Lebensmittel, Konsumgüter und Medikamente, wurden vor allem auf dem Seeweg importiert. Dieser Importweg fällt vorerst weg. Zusätzlich vernichtete die Explosion einen Großteil der nationalen Getreidevorräte. Das alles sind Vorzeichen für eine drohende Hungerkrise.
Trümmer und zerbrochene Träume
Zum Zeitpunkt der Katastrophe saß Maher Metri in einem Imbiss. Nach der ersten Explosion ging er nach draußen. Er wollte sehen, was gerade passiert. Dann schleuderte ihn die Druckwelle der Explosion mehrere Meter weit. „Ohne Zweifel: Wäre ich drinnen geblieben, würde ich nicht mehr leben”, erzählt der junge Mann. Als er wieder auf den Beinen stand, rannte er zu seinem Laden. Er wollte sich vergewissern, ob sein Salon die Explosion unbeschadet überstanden hatte. Doch er fand nur einen Haufen Trümmer vor und damit einen zerbrochenen Traum. Minuten später steht er vor seinem beschädigten Wohnhaus und ist voller Kummer: „Was nun?”, fragt er. „Ich habe alles verloren.”
Maher Metri schildert seine Erlebnisse rund um die Explosion einer Mitarbeiterin von Caritas Libanon.Caritas Libanon
Libanon ist dringend auf Hilfe angewiesen
Der junge Frisör sieht keine Chance, sein Haus wieder aufzubauen und sein Geschäft wieder zu eröffnen. Wie ihm geht es Tausenden in Beirut. „Jetzt mit der Inflation und der Abwertung der libanesischen Währung können wir nichts mehr tun. Meinen Nachbarn und Kunden, die früher mein Geschäft besuchten, fehlen jetzt die Möglichkeiten dazu. Wir sind am Boden zerstört”. Mit staatlicher Unterstützung kann Maher Metri nicht rechnen: Das Land ist hoch verschuldet, die Bevölkerung hat das Vertrauen in die Regierung längst verloren.
Statistik der täglichen Neuinfektionen mit Covid-19 im Libanon (Stand: Ende August 2020)Johns Hopkins University
Als wäre das nicht schon genug, infizieren sich immer mehr Menschen im Libanon mit Covid-19. Auch wenn die neu verordneten Ausgangsbeschränkungen nicht für die Aufräumarbeiten gelten, bedeutet der Lockdown für viele Menschen eine zusätzliche Belastung. Zudem werden dadurch die so wichtigen humanitären Hilfsaktionen unter anderem von Caritas international und seinem Partner Caritas Libanon erschwert. „Wir brauchen eure Unterstützung”, richtet sich Maher Metri an die Menschen im Ausland. „Wir standen am Rande des Zusammenbruchs, jetzt stirbt unser Land langsam”.
August 2020
Nach einem Bericht der Caritas Libanon - übersetzt und bearbeitet von Jean-Marie Schaldach