Ein Beitrag von Anke Becker
Referentin für Öffentlichkeitsarbeit bei Caritas international
12. September 2023 / Lesedauer: 3 Minuten
Als ich mich im Frühjahr zu Projektbesuchen auf den Weg in den Libanon machte, war mir klar, dass das Land in einer schweren Wirtschaftskrise steckt: 80 Prozent der knapp sieben Millionen Einwohner_innen leben in Armut, jede dritte erwerbsfähige Person ist arbeitslos. Dazu kommen geschätzt 1,5 Millionen Geflüchtete aus Syrien, Irak und anderen Ländern.
Soweit die Fakten. Nicht vorstellen konnte ich mir, was diese Zahlen Tag für Tag für die Menschen bedeuten. Beispielsweise streikten die Lehrkräfte, weshalb die Schulen schon seit sechs Monaten geschlossen waren. Die seit 2019 anhaltende Hyperinflation hat dazu geführt, dass 10.000 Libanesische Pfund Ende Mai gerade noch 60 Euro-Cent wert waren. Wer sein Gehalt in der lokalen Währung erhält, kann sich nicht einmal mehr das Allernötigste davon kaufen. Trotz dieser schwierigen Lage begegnete ich überall Menschen, die sich mit unglaublicher Energie diesen Herausforderungen stellen.
Mandelbäumchen, Orangen- und Olivenhaine säumen den Weg nach Mashgara in der westlichen Bekaa Ebene. Das Städtchen hat etwa 10.000 Einwohner. Die Menschen dort leben vor allem von der Landwirtschaft, die hier mindestens ebenso viele syrische Flüchtlinge wie Einheimische ernähren muss. Die Geflüchteten leben in informellen Zeltlagern am Rande der Felder, auf denen sie sich als Tagelöhner verdingen. Es ist ein hartes Leben. Angesichts der Wirtschaftskrise fragt man sich unwillkürlich, wie sie hier überhaupt überleben. Chronisch kranke oder pflegebedürftige ältere Angehörige werden für eine Flüchtlingsfamilie schnell existenzbedrohend. Seit einigen Jahren unterstützt Caritas international die Arbeit der internationalen Amel Association, die sich im Gebiet von Mashgara um die medizinische Versorgung besonders bedürftiger Menschen kümmert.
Im Amel-Gesundheitszentrum in Mashgara füllen die Pflegekräfte Leila Karkouz und Mohammad al Husseini morgens ihre großen Rucksäcke mit Medikamenten und Verbandsmaterial. Zusammen mit Sozialarbeiterin Lamis El-Ammar und der ehrenamtlich tätigen Therese Tabari brechen sie dann auf, um die Menschen in schwer erreichbaren Dörfern und informellen Flüchtlingslagern zu besuchen.
Leila Karkouz und Mohammad al Husseini, beide Mitte zwanzig, versorgen liebevoll und geduldig bettlägerige Patientinnen und Patienten und bringen ihnen lebenswichtige Medikamente. Der Besuch der Amel-Mitarbeitenden ist für die meisten Pflegebedürftigen und Geflüchteten der einzige Zugang zu medizinischer Versorgung. Während die beiden Pflegekräfte von Familie zu Familie gehen, leitet Sozialarbeiterin Lamis El-Ammar - unterstützt durch Therese Tabari - ein Gruppentreffen an. Insbesondere die älteren Frauen schätzen den geschützten Raum, in dem sie über ihre Sorgen sprechen können und ihnen jemand zuhört.
Die Belastungen sind enorm für die Menschen, die seit vielen Jahren in dieser prekären Situation leben. Da ist zum Beispiel Aziza al Yatim mit ihren fünf zum Teil erwachsenen Kindern. In ihrem Zelt ist es kalt und feucht. Die beiden Töchter tragen nur Sandalen und dünne Jacken. Einer der Söhne hat die Flucht nach Europa geschafft. Ein anderer hat durch jahrelange Arbeit im nahen gelegenen Steinbruch schon mit 18 Jahren einen kaputten Rücken. Der Schwiegervater ist pflegebedürftig. Aziza al Yatims Lichtblick und einzige Abwechslung ist die Gruppe der Seniorinnen, die sich einmal pro Woche in ihrem Zelt trifft. Auch die Mitarbeitenden unserer lokalen Partnerorganisationen leiden unter der anhaltenden Krise im Libanon. Geld und Zukunftssicherheit fehlen in fast jeder Familie. Dennoch versprühen sie Tag für Tag einen Optimismus, der alle ansteckt. Es ist gut zu wissen, dass Projekte wie dieses den Menschen Hoffnung schenken.
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