Kenia: Soforthilfe gegen Heuschreckenplage
Die Vierfach-Katastrophe
Die Menschen in Kenias Norden mussten in den vergangenen Jahren vieles verkraften…
Wario Guyo Adhe: Ja, das ist richtig. Erst hielten Dürren die Region im Würgegriff, dann regnete es Ende 2019 so stark, dass alles überschwemmt wurde. Im Januar landeten die ersten Heuschreckenschwärme, ein paar Wochen später folgte der Shutdown wegen Corona. Die Familien hier fragen sich, was als Nächstes kommt. Sie fühlen sich ohnmächtig und sind in tiefer Sorge.
Wie können die Menschen dort überhaupt überleben?
Ivo Körner: Marsabit ist eine wüsten-ähnliche Region. Die Menschen hier sind Nomaden und ziehen mit ihren Kamelen, Ziegen, Schafen und Kühen umher. Die Milch und das Fleisch der Tiere sind ihre Lebensgrundlage. Wenn die Trockenheit, das Wasser oder auch die Heuschrecken das Weideland zerstören und ihre Tiere sterben, ist das für die Familien lebensbedrohlich. Die Bevölkerung lebt also seit Jahren in einer Ausnahmesituation und jede Katastrophe schwächt die Widerstandskräfte weiter.
Welche Möglichkeiten bleiben ihnen?
Adhe: Die Viehhirten müssen immer weiter ziehen, um möglichst unbeschädigtes Weideland zu finden. Dabei kommen sie fast zwangsläufig anderen Nomaden in die Quere, was mitunter zu gewalttätigen Stammeskonflikten führt. Innerhalb der Gemeinden und Familien allerdings wirken starke, solidarische Bande. Die, die noch etwas besitzen, sorgen für diejenigen mit, die alles verloren haben.
Eigentlich sind extrem lange Trockenphasen das Hauptproblem in Nordkenia…
Adhe: Ja, unsere Hauptarbeit ist es eigentlich, Wasser und Nahrung so lange wie möglich verfügbar zu halten und damit die Folgen der Trockenzeit abzumildern. Gemeinsam mit den Menschen vor Ort heben wir z.B. große Wasserrückhaltebecken aus. In der Regenzeit füllen sie sich mit Niederschlag und Oberflächenwasser, in der Trockenzeit dienen sie als Wasserreservoir für Mensch und Tier. Wir bauen auch unterirdische Zisternen und helfen den Menschen mit Bargeld und Nahrungsmitteln, die Dürreperioden zu überbrücken.
Dann sollte doch der starke Regen ein Segen gewesen sein, oder?
Körner: Ein ausgetrockneter Boden kann nicht viel Wasser aufnehmen. Deshalb kam es sehr schnell zu Überschwemmungen. Und die Wassermassen rissen das Vieh, die Ernte auf den Feldern und ganze Hausstände mit sich. Die Feuchtigkeit im Boden war zwar gut für die Pflanzen, bot dann aber auch ideale Brutbedingungen für die Heuschrecken.
War Kenia auf die Heuschreckenplage vorbereitet?
Adhe: Die letzte Heuschreckenplage hatten wir in Kenia vor rund 70 Jahren. Deshalb kannten sich weder die Regierung noch die Vereinten Nationen oder Hilfsorganisationen gut mit der Bekämpfung aus. Es hat also einige Zeit gedauert, bis die Maßnahmen angelaufen waren.
Welche Rolle nimmt PACIDA ein?
Adhe: PACIDA bildet sogenannte Heuschrecken-Scouts aus. Das sind Freiwillige in den Gemeinden, die die Entwicklungsstadien der Larven einschätzen lernen, die Umgebung nach Schwärmen absuchen und die erhobenen Daten an die FAO und die kenianische Regierung weiterleiten, die dann wiederum mit Pestiziden gegen die Heuschrecken vorgehen. Eine Herausforderung ist nach wie vor die riesige Fläche, die es zu überwachen gilt. Wir sind auch für Gebiete zuständig, die nicht mit dem Auto befahren werden können.
Hat die Corona-Pandemie den Kampf gegen die Heuschrecken beeinflusst?
Adhe: Gerade als die Maßnahmen richtig angelaufen waren, kam der Shutdown und wir mussten unsere Aktivitäten zurückfahren. Wir durften keine Fortbildungen mehr anbieten und auch die Sprühaktionen in kleinen Teams am Boden waren verboten. Das Ergebnis: Die Heuschrecken haben sich in dieser Zeit massenhaft vermehrt und weitere Gebiete erobert.
Was hatte aus Sicht von Caritas international Priorität?
Körner: Für Geberorganisationen wie Caritas international ist es ein Drahtseilakt. Einerseits können wir die Corona-Pandemie nicht ignorieren. Andererseits dürfen wir die anderen Probleme nicht aus dem Blick verlieren. Es ist in diesen Fällen unbedingt notwendig, auf die Einschätzung der Partnerorganisationen zu vertrauen und im Dialog mit ihnen die Prioritäten festzulegen. Außerdem muss jedes Land und jede Region ihren eigenen Umgang mit Corona finden und wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass eine Maßnahme nicht ohne Weiteres auf alle Länder übertragbar ist.
Was braucht es, um die Heuschreckenplage in den Griff zu bekommen?
Adhe: Zuallererst ein abgestimmtes Vorgehen über Ländergrenzen hinweg. Die Heuschrecken sind kein lokales Problem. Und auch nicht das Problem eines einzelnen Landes. Aktuell sind Kenia und das gesamte Horn von Afrika betroffen und die Insekten auf dem Weg nach Zentralafrika. Es braucht jetzt enorme Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft, der Regierungen und der Hilfsorganisationen, um die Heuschrecken zu stoppen und die negativen Auswirkungen auf die Ernährungssituation abzumildern.
Das Interview führte Stefanie Santo, Juli 2020