Senegal: Mit dem Klimawandel leben
Wettlauf gegen das Salz
Es gibt Orte, da liegen Reichtum und Armut unfassbar nahe beieinander. Die Casamance, der südliche Teil des Senegal, ist ein solcher Ort. Dieses Stück Land, zwischen Guinea-Bissau und Gambia gelegen, ist einerseits sehr reich: Wälder mit uralten Baumriesen beherbergen eine große Artenvielfalt. Mangroven, die zahlreichen Zugvögeln Nahrung bieten, schützen die Küste vor den Wellen des Atlantik, fast dreimal so viele Niederschläge wie im Norden des Landes ermöglichen den Anbau von Gemüse, lassen Obsthaine wachsen und bewässern Reisfelder.
Mangrovenlandschaft in der Casamance: Meeresarme und Mangrovenwälder sind wertvolle Fischgründe - und die Fischerei neben dem Reisanbau ein wichtiger Aspekt der Ernhährungsgrundlage der Bevölkerung.Martina Backes
Die Casamance ist die Kornkammer des Senegals. Oder besser: dessen Reiskammer. Ein Landstrich natürlichen Reichtums. Wäre da nicht der über 35 Jahre währende bewaffnete Konflikt, der Holzeinschlag und Raubbau an den Wäldern, der agroindustrielle Fischfang schwimmender Fischfabriken entlang der Küste, der Klimawandel und die fortschreitende Versalzung der Böden.
Wer zurückkehrt, den erwartet Arbeit
Inzwischen sind die meisten Regionen befriedet und werden vom senegalesischen Militär kontrolliert. Ende der 1990er Jahre kehrten die ersten Binnenvertriebenen zurück in ihre Dörfer. Doch viele, die über die Grenze nach Guinea-Bissau oder nach Gambia geflohen waren oder in den provisorischen Siedlungen am Rande der Stadt Ziguinchor ein Auskommen suchten, fanden erst kürzlich den Mut, in ihre Herkunftsdörfer zurückzukehren. Einige Landgemeinden sind bis heute verlassen und kleinere Gebiete werden nach wie vor von Widerstandskämpfern kontrolliert.
Nachdem die Befreiungsbewegung MFDC 1992 in der Casamance zu den Waffen griff, flohen rund 250.000 Menschen. Antipersonenminen spielten in der Kampfstrategie eine folgenschwere Rolle. Sie legten das Leben in der Casamance über Jahre hinweg lahm. Verminte Reisfelder und Obstgärten sind der Schrecken und das Grauen für die Familien, die ihre Angehörigen verloren oder ihnen eine starke Behinderung zufügten. Die Angst, bei der Ernte auf eine Mine zu treten, ist ein bleibender Alptraum, wenngleich Reisfelder und Obstgärten weitgehend minenfrei sind.
Der Gesundheitsposten in dem Dorf Laty ist ausgebrannt. Die Ruine erinnert an den bewafffneten Konflikt in der Casamance.Fabrice Taurines
Es ist nicht einfach, in ein über Jahre oder gar Jahrzehnte verlassenes Dorf zurückzukehren. Nicht nur, weil Häuser ausgebrannt wurden oder inzwischen zerfallen sind. Auch die Infrastruktur ist zusammengebrochen: Brunnen, Gesundheitsposten, Straßen, Schulen, Getreidemühlen: All das gibt es nicht mehr. Die traditionellen Fischteiche und Reisfelder, die wichtigste Produktionsgrundlage für die Dorfbevölkerung, sind vielerorts weitflächig zerstört, versalzen, vertrocknet.
Die Landgemeinde Youtou, keine 30 Kilometer von Ziguinchor, der Hauptstadt der Casamance entfernt, ist noch heute eine Enklave. Über einen Wasserarm ist das 500-Seelen Dorf mit der Hauptverkehrsstraße nach Ziguinchor verbunden, der Verwaltungshauptstadt der Casamance. Der Zugang über Land bleibt wegen der von Rebellen kontrollierten Wälder versperrt. Die einstündige Bootsfahrt kostet Diesel, daher kann sich die Dorfgemeinde diese Fahrt nicht zum Vergnügen leisten. Youtou ist reich an Obstgärten, doch der Transport der Ernte verteuert die Produkte. So hängt hier die Nahrungssicherheit wie ein dünner Faden an einer nachhaltigen Subsistenzwirtschaft.
In dem Dorf Youtou betreiben die Frauen Gartenbau. Das tägliche Bewässern der Beete macht Arbeit, doch der Erfolg ist schnell sichtbar: Zwiebeln, Auberginen, Bissap, Okra, Knoblauch, Tomaten - all das wächst in dem Garten und bereichert die Ernährung der Familien.Fabrice Taurines
Gemüse bereichert den Speiseplan
Odille Diédhiou und Daba Diédhiou sind erst vor einem Jahr aus dem benachbarten Guinea-Bissau hierher zurückgekehrt, nach über 30 Jahren. Gemeinsam mit den anderen Frauen des Dorfes bewässern sie bereits am frühen Morgen ihre Gemüsebeete. Hier wachsen Zwiebeln, Knoblauch, Salat, Auberginen, Tomaten, Okra und Peperoni. Die Zwiebelstecklinge haben sie frisch ausgepflanzt, den Boden schützen sie mit der Rinde des Baobab-Baumes vor der Sonne. Das Wasser wird mit Eimern aus einem Brunnen gezogen, eine mühsame Tätigkeit. Der Gemüseanbau ist arbeitsintensiv, aber er bereichert den Speiseplan.
Die Parzellen gehören einzelnen Frauen, die Aufteilung haben sie in der Gruppe miteinander ausgehandelt. Der Zaun wurde von der Caritas finanziert, er hält Wildschweine und Gazellen von den Gemüsebeeten fern. Fabrice Taurines
Früher sammelte man in Youtou das Wildgemüse in den Wäldern. Der Gemüseanbau ist keine traditionelle Form der Nahrungsproduktion. Augustin Sambou, Mitarbeiter der Caritas Ziguinchor und gelernter Agronom, hat in mehreren kleinen Workshops mit den Frauen Detailfragen der Gemüsekulturen erörtert, Saatgut verteilt und natürliche Wege des Pflanzenschutzes erprobt. Der Dünger wird lokal hergestellt, aus Falllaub, gemischt mit Walderde und Ziegenmist. Der Neembaum und andere Pflanzen bilden die Grundlage für die Insektenbekämpfung. "Das funktioniert, solange man die Pflanzpläne einhält, wachsam bleibt und früh reagiert", erklärt Augustin Sambou bei einem Treffen. "Insekten sammeln wir auch mal händisch ab." Keine leichte Arbeit, aber eine, die Früchte trägt.
Regelmäßige Besuche im Dorf Youtou und Treffen mit der Frauengruppe gehören zum Arbeitsalltag der Caritas Mitarbeiter. Heute erörtern alle gemeinsam die neuen Pflanzpläne und Methoden der biologischen Schädlingsbekämpfung.Fabrice Taurines
Kulturlandschaft in Handarbeit
Youtou grenzt an mehrere Wasserarme, in denen das salzhaltige Meerwasser mit dem Süßwasser des Flusses einmal landeinwärts, dann wieder meerwärts zieht. Die Dorfbevölkerung hat in jahrzehntelanger Handarbeit eine einzigartige Kulturlandschaft geschaffen, die ständiger Pflege bedarf. Reisfelder und Fischteiche bilden zusammen ein sensibles agrarökologisches Produktionssystem, das von einem Mangrovengürtel geschützt wird. "Flache Deiche, mit einer Schaufel bei Ebbe im Watt aufgeschüttet, stellen die Grundlage", erläutert das Dorfkomitee von Kaguitte, einem Nachbardorf, das ganz ähnliche Probleme hat wie die Menschen in Youtou. Mit der Flut werden diese Deiche, die alle paar hundert Meter mit kleinen Schleusen versehen sind, geflutet.
Die Deiche ermöglichen eine Fischteichbewirtschaftung. Es braucht im Dorf gute Absprachen, um gemeinschaftliche die Deiche instandzuhalten. Eine Begehung mit den Caritas Mitarbeitern dient der Planung weiterer Eindeichungen. Mit Fischfang und Reisanbau wird die Ernährung verbessert.Fabrice Taurines
Die Jungfische verbleiben in diesen halbnatürlichen Fischteichen und können hier über Monate im Schutze von Mangroven heranwachsen, weil das Wasser nie ganz abläuft und mit dem Regen - wenn er denn kommt - an Salzgehalt verliert. Zieht das Wasser durch die Reusen bei Ebbe Richtung Meer, so verfangen sich einzelne Fische in den aus Palmblättern geflochtenen Reusen. Diese Fischfallen werden von den Männern täglich geleert. Karpfen, Meeräschen und Krabben stellen den häufigsten Fang.
Die meist mehrere Hektar großen Fischteiche bilden zugleich einen ersten Schutzwall für den Reisanbau, der sich landeinwärts anschließt. Mit der traditionellen Fischteichbewirtschaftung werden die Reisfelder vor dem Salzwasser geschützt. Aufgrund der Vertreibung der Bevölkerung konnte dieses aus zahlreichen Deichen und Gräben bestehende System nicht mehr aufrechterhalten werden.
Der Regen kommt zu spät
Zudem hat der Klimawandel dem Reisanbau zugesetzt. Die Gewalt der Elemente nimmt zu: Winde, Wellen und Sturzregenfälle tragen den Boden ab, Salz und Eisen versauern das Milieu und machen ihn unfruchtbar. Ohne Deiche ist der Boden all diesen Naturgewalten schutzlos ausgesetzt. Der Regen setzt inzwischen deutlich später ein, Starkregen fließen oberflächlich über tieftrockene Böden, Sand wir in die Reisfelder gespült. Zahlreiche Standorte versalzen durch die starke Verdunstung und ausbleibender Regenfälle.
Zerstörte Deiche und versalzene Böden machen in Youtou den Reisanbau in diesem Tal unrentabel. Mit Deichbauten soll die Fläche rehabilitiert werden.Fabrice Taurines
Zwar hat der Gesamtniederschlag von rund 1.300 Millimeter nur wenig nachgelassen. Doch die spät einsetzenden Starkregen sind für den Reisanbau nicht gut, es braucht leichte Regenfälle zum Durchfeuchten der Böden. [i]
Mit Geduld und Expertise
Erst mit der Restaurierung von mehreren tausend Metern dieser Deiche kehrt langsam das Leben in die Böden und in die Fischteiche zurück. Ludovic Seydou Diédhiou, der Verantwortliche des Projektes zur Ernährungssicherung und Klimaanpassung in der Region Ziguinchor, besucht regelmäßig das Enklavendorf und die Landgemeinde Kaguitte. Mit einem Dorfkomitee wurde der Verlauf eines neuen Deiches festgelegt, alte Deichabschnitte restauriert. Ein weiterer Deich stellt eine Verbindung dar ins benachbarte Guinea-Bissau, schließlich hält sich das Wasser nicht an politische Grenzen. Doch nur eine grenzüberschreitende Kooperation kann die Flächen für den Reisanbau zurückgewinnen. Die Reisfelder tragen erste gute Ernten. Im Brackwasser der Tischteiche wachsen nun wieder Karpfen, Sardinen und Barrakuda - bester Speisefisch.
Unverzichtbarer ist die Wiederaufforstung des schützenden Mangrovengürtels. Darin ist Augustin Sambou Spezialist, er hat zuvor in Guinea Bissau für eine Umweltorganisation gearbeitet, die den Mangrovenschutz besonders ernst nimmt.
Caritas Mitarbeiter Augustin Sambou erklärt, was bei einer Mangrovenpflanzung alles beachtet werden muss, damit die Pflänzchen wachsen können. Er hat mehrere Jahre bei einer Umweltorganisation gearbeitet, bevor er zur Caritas kam.Fabrice Taurines
"Wir suchen zuerst eine geeignete Stelle für die Aufforstung. Tonhaltige Böden halten das Wasser grundsätzlich besser, das sind die besten Standorte. Wir pflanzen dann im April und Mai in dieses Watt die jungen Mangrovensetzlinge. Und dann hoffen wir. Wenn dann der Regen ausbleibt, dann steigt hier der Salzgehalt im Boden und die Jungpflanzen sterben wieder ab. Je weniger Regen, desto mehr Setzlinge sterben."
Mangroven zum Schutz
Augustin Sambou von der Caritas konnte den jungen Mann Siaka Djamé aus dem Dorf gewinnen, der eine Jugendgruppe motiviert hat, die Mangroven aufzuforsten. Leicht ist das nicht, im tiefen Watt. Die Bäumchen, die besonders salzresistent sind, müssen erst ein ganzen Jahr in einer Baumschule angezogen werden.
Youtou ist ohne ein stabiles Mangrovenökosystem auf Dauer gefährdet, Gemüse- und Reisanbau hängt von den schützenden Mangroven ebenso ab wie die traditionelle Fischteichbewirtschaftung. Doch das Dorf ist auf einem guten Weg. 400 Hektar Mangroven haben die Landgemeinden unter Anleitung der Caritas Ziguinchor in der Casamance inzwischen aufgeforstet.
Fünf Jahre junge Mangrovenaufforstung in Kaléane: Ludovic Seydou, Projektverantwortlicher der Caritas Ziguinchor, kontrolliert die Bäume regelmäßig, hier sind die meisten angewachsen und haben gute Chancen. Fabrice Taurines
Ein besonderer Verdienst kommt dabei Augustin Sambou zu. Gräben ausheben, Deiche aufschütten und Brunnen bauen, das hört sich technisch an, doch das Dorf macht sich diese Aktivitäten und die Infrastruktur zu Eigen. Auf Versammlungen wird debattiert, abgewogen, gestritten, gelernt und am Ende gemeinsam entschieden, wie und wo das Dorf mit vereinten Kräften einen Graben aushebt, einen Zaun um den Gemüsegarten zieht, einen neuen Brunnen anlegt, die neuen Deiche instand hält, die Mangrovenpflanzungen kontrolliert. Der regelmäßige Besuch des Caritas Agrartechnikers, die zahlreichen Workshops und Austauschtreffen, stellen den Kern der Dorfentwicklung in Youtou dar. Das alles zahlt auf ein Ziel ein: es geht darum die Ernährung zu sichern. Heute wirkt der ehemals verlassene Ort, nur wenige Jahre nachdem die Caritas Ziguinchor hier tätig wurde, sehr lebendig.
Januar 2020, Martina Backes
[i] Je länger der Regen auf sich warten lässt, desto stärker arbeitet die Verdunstung: Mit ihr treten Salze an die Oberfläche, zudem wird verstärkt Eisen in die obere Bodenschicht transportiert. Dieses wiederum versauert das Milieu. Die Reispflanzen verfaulen am Übergang zur Wurzel, sie verrotten noch bevor die ersten Reiskörner gebildet werden. Zu starker Salzgehalt im Boden verhindert, dass die Reiswurzeln ausreichend Wasser aufnehmen. Die Pflanze trocknet mitten im Wasser innerlich aus. Das Wachstum wird eingestellt.