Afghanistan: Prothesen wirken Wunder
„Wenn ich die Not sehe, muss ich helfen"
Seit den 1990er Jahren arbeitet Thiessen immer wieder in Afghanistan. Er hat dort zwei Orthopädiezentren aufgebaut und geleitet.
Für ihn ist das „der Platz, den Gott für mich bereithält“, wo er seine Fähigkeiten anwenden und weitergeben kann. Die Orthopädietechniker in Maimana, dem Zentrum, das Caritas international seit 2018 finanziert, haben das Handwerk von ihm gelernt. Bis das möglich wurde, musste Thiessen lange mit dem Gesundheitsminister und den Verantwortlichen der Provinzhauptstadt verhandeln. 2004 bekam er einen Platz innerhalb des Klinikgeländes zugewiesen. Dort baute er die Werkstatt mit der angegliederten Physiotherapie auf. Die Gelder dafür kamen von der UNO und einer christlichen Hilfsorganisation, von afghanischer Seite erhielt er keine Unterstützung. „Das Gesundheitswesen ist auch hier ein Business“, erklärt Thiessen, „und mit Menschen mit Behinderung lässt sich eben kein Geld verdienen!“
Dabei war und ist der Bedarf nach orthopädischen Hilfen hoch, nicht nur, weil im afghanischen Langzeitkrieg viele Menschen durch Minen oder andere Waffen Gliedmaßen verloren haben. Überdurchschnittlich viele Kinder sind aufgrund von Erbkrankheiten beeinträchtigt. Außerdem ist Afghanistan eines der wenigen Länder weltweit, in denen die Kinderlähmung noch immer auftritt.
Aufklärung über die Rechte von Menschen mit Behinderung
„Zu Beginn unserer Arbeit in der Provinz Faryab kamen zum Beispiel Kinder mit Klumpfußstellungen so spät zu uns, dass wir sie an die Klinik verweisen mussten, wo sie operiert wurden“, erinnert sich Thiessen. Der Vater von sechs Kindern ist froh, dass sich das im Laufe der Jahre geändert hat. Dafür sind er und sein Team in die Dörfer gefahren, haben mit den Eltern, Ärzten, Imamen und Dorfältesten geredet und sie über Krankheitsbilder und Behandlungsmöglichkeiten aufgeklärt. „Das gewachsene Vertrauen hat dazu geführt, dass heute viele ihre Babys schon bald nach der Geburt zu uns bringen.“ Für diese Kinder ist das ein Segen, denn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Zentrums arbeiten dank Thiessens Know-how auf höchstem Niveau. Mit Korrekturgipsen, maßgefertigten Prothesen oder Orthesen, die Oberkörper und Beine stabilisieren, lassen sich die meisten Fehlstellungen ohne größere Eingriffe behandeln. „Die Kinder entwickeln sich gut und unauffällig“, berichtet Thiessen.
Orthopädietechniker-Meister Viktor Thiessen kurz nach der Eröffnung des Zentrums im Jahr 2004 bei der Untersuchung eines Patienten. Foto: Caritas international
Besonders glücklich ist Thiessen darüber, dass das Orthopädiezentrum auch Arbeitsplätze für Menschen bietet, die selbst eine Behinderung haben. „Die wissen aus eigener Erfahrung, wie ihnen die Behandlung geholfen hat und können das jetzt weitergeben.“ Thiessen, der mittlerweile mit seiner Familie in Deutschland lebt und zwei Mal im Jahr für mehrere Wochen nach Afghanistan zurückkehrt, ist von seinem Team überzeugt. Die Techniker und Physiotherapeuten haben durch die Versorgung der rund 1.700 Patienten pro Jahr viel Erfahrung gesammelt. In schwierigen Fällen berät er seine Kolleginnen und Kollegen über WhatsApp. Sorgen bereitet Thiessen vor allem die Sicherheitslage rund um Maimana, die es seinen Mitarbeitern nicht mehr erlaubt, Hausbesuche zu machen.
Dankbar ist er, dass Caritas international zugesagt hat, die laufenden Kosten über Spenden zu decken. „Die Grundversorgung der Patienten ist sichergestellt. Wir müssen vor allem dafür sorgen, dass das Team immer genug Materialien und funktionierende Maschinen hat.“