Ukraine: Hilfe für die Leidtragenden des Kriegs
Caritas-Direktor aus der Ukraine erklärt: so funktioniert Nothilfe im Krieg
Seit 19 Jahren arbeitet Vasyl Panteliuk für die Caritas. Der 63-jährige Pater weiß, wie sich Krieg anfühlt: Er ist selbst ein Flüchtling. 2014 floh er Hals über Kopf vor den prorussischen Separatisten aus seiner umkämpften Heimatstadt Donezk im Osten der Ukraine nach Dnipro. Dort hilft jetzt den vielen Leidtragenden des Kriegs, die täglich bei der Caritas Schutz suchen.Foto: Privat
Caritas international: Die Caritas in Dnipro hilft seit Jahren den Menschen in der Donbas-Region im Osten der Ukraine, wo bereits seit 2014 Krieg herrscht. Nun wird noch heftiger gekämpft. Können ihre Mitarbeitenden trotzdem weiterhelfen?
Pater Vasyl Panteliuk: Im Städtedreieck Rubischne, Lyssytschansk und Sjewjerodonezk (Oblast Luhansk, ca. 350 km von Dnipro entfernt, Anm. der Redaktion) finden gerade heftige Gefechte statt. Ein Teil unserer Belegschaft ist trotzdem dort und leistet Nothilfe. Das läuft so ab: Wir haben einen Caritas-Bus in Dnipro, wo wir Lebensmittel einladen können. Damit fahren wir nach Lyssytschansk. Dort gibt es eine Kirchengemeinde. Der Priester dieser Gemeinde organisiert die Verteilung und bringt die Lebensmittel zu den Leuten, die in Kellern Schutz suchen. Wir haben außerdem ein Sozialprogramm mit einem Großhandel aufgebaut, das wie folgt funktioniert: Wir von der Caritas Dnipro bezahlen die Einkäufe im Voraus und Bedürftige in Sjewjerodonezk bekommen von uns Gutscheine, mit denen sie vor Ort Lebensmittel einkaufen können. Ein Caritas-Mitarbeiter betreut das Programm.
In Dnipro arbeitet unser Sozialzentrum weiter. Siebzehn Mitarbeitende sind noch hier und viele Freiwillige. Zu dem Sozialzentrum gehört auch ein Kinderprogramm. Dort können sich die Kinder der vielen Vertriebenen für einige Stunden etwas ablenken und sie werden von Psycholog_innen betreut, bevor ihre Flucht weitergeht. Die Angebote des Zentrums richten sich aber auch an Leute aus Dnipro selbst.
Was berichten die Menschen, die bei der Caritas Schutz suchen?
Panteliuk: Die meisten Flüchtlinge kommen aus der Oblast Luhansk und aus Wolnowacha - eine Stadt, die nahezu dem Erdboden gleichgemacht wurde. Sie haben teilweise bis zu acht Tagen in Kellern verbracht. Sie berichten von Zerstörung und Tod. Viele stehen unter starkem Stress. Deswegen sind die Caritas-Psycholog_innen im Dauereinsatz.
Wie geht es den Menschen in Dnipro selbst? Wie geht es Ihren Kolleg_innen bei der Caritas?
Panteliuk: Die Leute in Dnipro haben schon verschiedene Stadien durchgemacht: Wut, Aggression und Trauer. Aber inzwischen hat sich die Stimmung stabilisiert. Wir müssen jetzt viele intern vertriebene Menschen aufnehmen - das bedeutet: anpacken und zusammenhalten. Die psychische und physische Belastung ist enorm hoch, auch für die Caritas-Mitarbeitenden. Einige von ihnen sind selbst zu Flüchtlingen geworden und haben alles verloren.
Wie helfen Sie den Kriegsflüchtlingen?
Panteliuk: Die Leute, die bei der Caritas Schutz suchen, bekommen erstmal das Nötigste: Trinkwasser, ein Paket mit Grundnahrungsmitteln und ein weiteres mit Hygiene- und Haushaltsartikeln. Es gibt auch Leute, die so eilig fliehen mussten, dass sie nicht mal geeignete Klamotten anhaben. Sie können bei der Caritas heiß duschen, wir geben ihnen passende Kleidung und kochen ein warmes Mittagessen. Einige Geflüchtete bleiben auch für zwei bis drei Nächte bei uns. In den Einrichtungen der Caritas in Dnipro können wir bis zu 50 Leute am Tag unterbringen.
Wagen wir einen Blick in die Zukunft: Haben Sie Hoffnung?
Panteliuk: Ich glaube, dass sich die Krise noch vertiefen wird. Zurzeit haben wir hier in Dnipro noch das, was wir brauchen, aber wir wissen nicht, wie es in einem Monat aussieht. Ich bin deswegen sehr dankbar für die Hilfe und Solidarität, die aus Europa kommt. Sie ermöglicht uns, eine Grundversorgung für die Menschen aufrechtzuerhalten, die sich an uns wenden - das macht mir Hoffnung. Ich bin auch dafür dankbar, dass ukrainische Geflüchtete in Europa so freundlich aufgenommen und mit dem Nötigsten versorgt werden. Es sind ja vor allem Frauen und Kinder, die jetzt fliehen - die Zukunft unserer Nation. Meine persönliche Prognose ist, dass bis Ende März klar sein wird, wie der Krieg verläuft. Wir werden einen hohen Preis zahlen müssen, aber ich glaube fest daran, dass Freiheit und Demokratie gewinnen werden.
Als er das sagt, lächelt der Pater zum ersten Mal in diesem Gespräch.
Hintergrund
In Dnipro leben etwa eine Million Menschen. Als wir mit Pater Vasyl Paneteliuk sprachen, war die viertgrößte Stadt der Ukraine noch von größeren russischen Militärangriffen verschont geblieben. Einen Tag nach unserem Gespräch, am 11. März, gab es drei Luftangriffe in Dnipro. Es wurde unter anderem ein Kindergarten getroffen, heißt es. Die Angaben aus dem Kriegsgebiet können nicht unabhängig überprüft werden.