„Helfer werden zur Zielscheibe“
Ist es in den vergangenen Jahren gefährlicher geworden, in Krisenregionen zu helfen?
Anke Wiedemann: Leider ja. Humanitäre Helfer werden immer öfter zur Zielscheibe. 2018 wurden weltweit 399 Helfer entführt, verletzt oder getötet. Das sind 86 Gewaltopfer mehr als im Jahr zuvor und so viele wie seit dem Jahr 2013 nicht mehr. Das ist besorgniserregend und kann unsere Hilfe im Extremfall ganz verhindern. In Nigeria beispielsweise gibt es Regionen, wo kaum oder gar nicht mehr geholfen werden kann, weil niemand die Sicherheit gewährleisten kann.
Woran liegt es, dass das Helfen gefährlicher geworden ist?
Wir beobachten, dass Kriegsparteien humanitäre Grundsätze wie die Neutralität von Helfern immer weniger respektieren. Früher boten das Caritas-Logo oder die Fahne des Roten Kreuzes einen gewissen Schutz. Das ist in vielen Kriegsregionen heute nicht mehr so. Selbst Krankenhäuser werden mittlerweile angegriffen. Die Gründe sind vielfältig: Hilfsorganisationen werden mancherorts als strategische Ziele angesehen, weil sie beispielweise der "westlichen Ideologie" zugerechnet werden. Außerdem haben wir es immer öfter mit innerstaatlichen Konflikten zu tun. Das trifft auf die fünf Länder zu, in denen Helfer am häufigsten Gewalt erleben: Süd-Sudan, Syrien, Afghanistan, die Demokratische Republik Kongo und die Zentralafrikanische Republik.
Caritas international schickt nur in Ausnahmen deutsche Helfer in Einsätze und setzt in mehr als 160 Ländern auf lokale Caritasverbände. Hat das Einfluss auf das Risiko des Helfens?
Wir informieren uns über unterschiedliche Quellen zu Risiken und Gefahren in unserem Einsatzgebiet, stehen in engem Kontakt mit dem Auswärtigen Amt, sind in verschiedenen Sicherheitsnetzwerken aktiv und arbeiten mit Sicherheitsberatern zusammen. Die wertvollsten Informationen kommen jedoch immer von unseren Partnern. Lokale Helfer sind bestens informiert, viel besser als internationale Helfer es je sein könnten. Sie sind im wahrsten Sinne "nahe dran", was aber auch eine besondere Gefährdung mit sich bringt. Wer im Kriegsgebiet aufgewachsen ist, die Leute kennt und sich humanitär engagiert, bleibt auch in höchster Gefahr oft vor Ort, weil er oder sie niemand im Stich lassen will. Manchmal muss man die Helfer da auch vor sich selbst schützen.
Was tut Caritas international für den Schutz ihrer humanitären Helfer?
Das reicht von Sicherheitstrainings im Vorfeld bis hin zur psychologischen Nachsorge bei belastenden Einsätzen. Wer ständig von Not und Elend umgeben ist, womöglich unter Kriegsbedingungen arbeitet, braucht auch selbst mal Unterstützung. Bei der Vorbereitung achten wir auf Dinge wie Impfungen oder Fahrtrainings. Wir gehen auch spezielle Situationen durch: Wie verhält man sich an Checkpoints? Wer aus dem Team spricht, wenn die Kontrolleure Fragen stellen? Was tut man, falls einem ein verdächtiges Fahrzeug folgt? Wir sind uns bewusst: Auch mit einer guten Vorbereitung bleibt ein Restrisiko. Immer wieder gibt es zum Beispiel Unfälle im Straßenverkehr.
Warum bleiben humanitäre Helfer vor Ort, wenn es gefährlich wird?
Letztlich beantwortet das jeder Helfer, jede Helferin für sich individuell. Ein gemeinsamer Nenner ist aber oft die Hoffnung und der Wille, auch unter schwierigsten Bedingungen eine schreckliche Situation etwas verbessern zu können und die Menschen zu unterstützen.
Das Interview führte Achim Reinke