Sehr geehrte Damen und Herren,
die großen Katastrophen des vergangenen Jahres waren - anders als in den Jahren zuvor - nicht Folge von Erdbeben, Tsunami oder Dürren. Sie waren und sind direkt von Menschen verursacht und von ihnen zu verantworten: beispielsweise der Bürgerkrieg in Syrien, der Konflikt in Mali, die Kämpfe im Kongo oder die lang anhaltenden Auseinandersetzungen in Afghanistan. Dieser Umstand, dass der Schwerpunkt unserer Hilfe im Jahr 2012 Kriegsopfern und nicht den Betroffenen von Naturkatastrophen galt, macht sich auch beim Spendenergebnis bemerkbar. Denn erfahrungsgemäß stehen uns für Kriegsopfer in der Regel deutlich weniger Spenden zur Verfügung als für Opfer von Naturkatastrophen.
Einnahmen: Insgesamt sind dem Deutschen Caritasverband für sein Hilfswerk Caritas international im vergangenen Jahr 46,8 Mio. € für die Projektarbeit anvertraut worden. 14,7 Mio. € der Gesamteinnahmen stammen von Spendern. Das ist gegenüber dem Vorjahr, als wir aufgrund der Dürre in Ostafrika und des Tsunami in Japan besonders hohe Spendeneingänge verzeichnen konnten, ein Rückgang um 17,2 Mio. €. An öffentlichen Zuschüssen und Kirchensteuermitteln standen uns wie schon im Jahr zuvor mehr als 28 Mio. € zur Verfügung. Ein konstant gutes Ergebnis. Für das in uns gesetzte Vertrauen danke ich unseren Spenderinnen und Spendern sowie den kirchlichen und staatlichen Geldgebern ganz herzlich!
Ausgaben: Im Jahr 2012 konnten wir 731 Projekte in 84 Ländern mit einem Volumen von 50,42 Mio. € durchführen. Fast 70 % unserer Arbeit umfasst die Hilfe nach Naturkatastrophen und Bürgerkriegen. Die restlichen gut 30 % machten soziale Projekte für Kinder sowie alte, kranke und behinderte Menschen aus.
Die Verwaltungskosten konnten wir mit 7,51 % erneut sehr niedrig halten. So fließen mehr als 92 Cent von jedem Spenden-Euro direkt zu den Menschen in Not.
Ich werde jetzt kurz auf die Situation in Syrien und im Nahen Osten eingehen; Herr Dr. Müller wird zu Afghanistan und zur aktuellen Hochwasserhilfe in Bayern, Ostdeutschland und Osteuropa Stellung nehmen.
Mehr als zwei Mio. € unserer Einnahmen haben wir 2012 für die Versorgung der syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge eingesetzt. Zum einen in Syrien selbst, wo wir unter schwierigsten, teilweise lebensgefährlichen Bedingungen über formelle und informelle Netzwerke die Hilfe zu den Menschen bringen - etwa über die Caritas in Syrien, zivilgesellschaftliche Gruppen oder Einzelpersonen. Zum anderen engagieren wir uns aber auch in zahlreichen Caritas-Zentren im Libanon, in Jordanien, der Türkei und Armenien für die Flüchtlinge. Im Libanon und in Jordanien konnte ich mir im März dieses Jahres selbst ein Bild von der Situation der Flüchtlinge und der entsprechenden Hilfe machen. Details finden Sie in unserer Pressemappe.
Diese humanitäre Hilfe ist heute im dritten Jahr des Bürgerkrieges wichtiger denn je. Jeder dritte Syrer ist mittlerweile auf Hilfe angewiesen. Das sind fast sieben Mio. Menschen. Das syrische Flüchtlingsdrama ist damit eine der größten humanitären Katastrophen der vergangenen zehn Jahre. Jeden Monat sterben seriösen Schätzungen zufolge 5.000 - 6.000 Menschen. Kranke und Verwundete können schon seit längerem nur noch unter Lebensgefahr behandelt werden. Hunderttausende Kinder gehen nicht mehr zur Schule. Diese wenigen Fakten zeigen: Was als syrischer Volksaufstand begann, ist heute ein Krieg auf Kosten des syrischen Volkes.
Angesichts dieser niederschmetternden humanitären Bilanz wird der Ruf nach Waffen für die Rebellen immer lauter. Als Präsident des Deutschen Caritasverbandes warne ich gemeinsam mit unseren Partnern im Nahen Osten ausdrücklich vor diesem Schritt. Wir sehen nicht, dass durch Waffenlieferungen Schlimmeres verhindert werden könnte. Die Gefahr, dass der Konflikt sich ausweitet und verlängert würde hingegen sehr konkret. Die Hoffnung, solche Waffenlieferungen ließen sich kontrollieren, teilen wir aufgrund unserer Erfahrungen in anderen Konfliktgebieten wie Afghanistan und Irak nicht. Wir haben in Afghanistan erlebt, wie "westliche Waffen" in Händen von Warlords das Leid der Zivilbevölkerung vergrößert haben. Und zwar über Jahre hinweg; auch lange nach Ende des offiziellen Krieges. Waffen sind unserer festen Überzeugung nach keine Lösung! Militärisches Eingreifen - das lehren die Erfahrung in Afghanistan und im Irak - löst keine Konflikte.
Sehr geehrte Damen und Herren! Humanitäre Hilfe kann militärische Konflikte nicht stoppen. Aber sie kann ihren Beitrag leisten, die Zivilbevölkerung zu schützen und den Menschenrechten Geltung zu verschaffen. Allerdings brauchen wir als humanitäre Helfer dafür in Syrien einen deutlich besseren Zugang zu den Hilfesuchenden und eine strikte Unterbindung aller Waffenlieferungen. Unser Appell richtet sich deshalb an alle am Krieg beteiligten Parteien, den Zugang zu den Notleidenden für humanitäre Helfer freizumachen, Feuerpausen einzulegen und humanitäre Korridore zu schaffen.
Derzeit ist die Hilfe nur unter hohen Risiken für Leib und Leben möglich. Ungezählte Überfälle auf Hilfskonvois sowie der Tod zahlreicher Helfer belegen das auf grausame Weise. Auch unsere Hilfe ist Gefährdungen ausgesetzt: Ein Mitarbeiter unserer Caritas-Partner ist verwundet worden, andere Helfer werden aufgrund ihrer humanitären Arbeit seit dem vergangenen Jahr von der syrischen Regierung steckbrieflich gesucht. Umso bewundernswerter ist der selbstlose Einsatz unserer syrischen Partner, die in Kenntnis aller Risiken bewusst ihr eigenes Leben einsetzen, um Menschenleben zu retten. Es gibt kaum Worte, um die Anerkennung für ihren selbstlosen, von Idealismus getragenen Einsatz auszudrücken. Die Entscheidung für die Fortführung der Projekte in Syrien machen wir uns aufgrund der skizzierten Gefährdungen nicht leicht. Letztendlich sind es jedoch die Helfer selbst, die uns immer wieder aufs Neue überzeugen, dass ihr Einsatz die Risiken wert ist.
Mit weniger Risiken behaftet ist die Flüchtlingshilfe in den syrischen Nachbarländern, wie beispielsweise im Libanon. Einfach ist die Arbeit jedoch auch dort nicht. Im dritten Jahr der Flüchtlingshilfe stoßen sowohl unsere Caritas-Partner, die sich seit über zwei Jahren über ihre Leistungsgrenzen hinaus verausgaben, als auch die Gastländer immer stärker an ihre Grenzen. Ich habe vor Ort erlebt, dass kleine Länder wie der Libanon in bewundernswerter Weise ihren Teil zur solidarischen Hilfe beitragen. Mehr als eine Mio. Flüchtlinge leben mittlerweile unter den 4,2 Mio. Libanesen. Übertragen auf Deutschland hieße das, dass wir 18 Mio. Flüchtlinge bei uns beherbergen und versorgen müssten. Man kann sich leicht ausmalen, zu welchen Spannungen das unter ungleich besseren wirtschaftlichen und einfacheren politischen Rahmenbedingungen bei uns führen würde.
Die Grenzen der Belastbarkeit, speziell im Libanon, sind längst überschritten: Der syrische Krieg ist mittlerweile auch in den Zedernstaat getragen worden wie die Kämpfe in Tripoli, Sidon und der Bekaa-Ebene sowie Bombenanschläge in Beirut zeigen. Für dieses politisch und religiös hochkomplexe Land mit seiner 15jährigen Bürgerkriegsgeschichte ist das eine extrem gefährliche Situation. Auch im Alltagsleben der libanesischen Bevölkerung wirkt sich der Konflikt unmittelbar aus: Die Mietpreise haben sich örtlich wegen der gestiegenen Nachfrage vervierfacht, Schulen und Krankenhäuser sind überfüllt und die Konkurrenz um die wenigen Arbeitsplätze wird täglich größer. Die Gefahr einer Spaltung der libanesischen Gesellschaft und eines Flächenbrandes im Nahen Osten ist real, wie mir meine Gesprächspartner bei meinem Besuch im März deutlich machten. Mein Kollege, der libanesische Caritas-Präsident Simon Faddoul, spricht zu Recht von einer Zerreißprobe für sein Land.
Umso wichtiger ist, dass die Bundesregierung die Hilfe für syrische Flüchtlinge in Syrien und den Nachbarländern weiterhin großzügig unterstützt. Wir begrüßen ausdrücklich, dass bis Ende des Jahres 5.000 syrische Flüchtlinge in Deutschland aufgenommen werden sollen und den Ländern ermöglicht wurde, ergänzend Familienangehörige von Syrern aufzunehmen. Angesichts der Belastungen der syrischen Nachbarländer wäre eine großzügige Ausweitung dieser humanitären und politischen Geste aus unserer Sicht angemessen. Dabei sollte gerade auch bei den anderen EU-Staaten um eine entsprechende Aufnahme geworben werden.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Prälat Dr. Peter Neher
Präsident des Deutschen Caritasverbandes