Es gilt das gesprochene Wort
Sehr geehrte Damen und Herren,
ganz herzlich begrüße ich Sie hier am Sitz des Deutschen Caritasverbandes, um Ihnen den druckfrischen Jahresbericht unseres Hilfswerkes Caritas international vorzustellen. Einerseits möchten wir Ihnen in diesem Zuge die erfreuliche Bilanz des vergangenen Jahres erläutern und andererseits auf die Krisen und Katastrophen eingehen, die uns 2018 besonders beschäftigt haben und dies in weiten Teilen noch immer tun.
Das vergangene Jahr war wieder ein besonderes für unser Hilfswerk. Dies lässt sich schon an den bloßen Zahlen ablesen. Ein weiteres Mal ist etwa die Gesamtzahl der Hilfsprojekte gestiegen - auf inzwischen 715 Projekte in 78 Ländern. Im Jahr zuvor waren es 681 Projekte. Darüber hinaus ist die Summe der geleisteten Hilfen im vergangenen Jahr mit 81,08 Mio. Euro erneut so hoch wie nie zuvor ausgefallen.
Die Summe der Erlöse fiel im vergangenen Jahr mit 88,58 Mio. Euro zwar etwas geringer aus als 2017, lag aber dennoch auf einem außergewöhnlich hohen Niveau - insbesondere wenn man berücksichtigt, dass es 2018 nur wenige Katastrophen gab, die eine große Aufmerksamkeit in der deutschen Öffentlichkeit erzeugt haben. Dies bringt mich zu einer weiteren Rekordzahl: Die Summe der privaten Spenden, die Caritas international unabhängig von akuten Krisen und Katastrophen anvertraut wurden, lag mit 26,4 Mio. Euro höher als jemals zuvor. Möglich wurden die genannten Rekorde durch die außergewöhnliche Solidarität unserer insgesamt mehr als 100.000 Spenderinnen und Spender sowie der kirchlichen und öffentlichen Geber. Hierfür möchte ich mich an dieser Stelle ausdrücklich bedanken.
Am meisten Spenden gingen im Jahr 2018 mit rund 4,8 Mio. Euro für die Unterstützung der Opfer des Erdbebens und Tsunamis im indonesischen Sulawesi ein, gefolgt von Spenden für die Hilfe im Jemen in Höhe von 1,6 Mio. Euro sowie für die Unterstützung der Opfer der Flut im indischen Kerala mit 1,5 Mio. Euro. Für die Betroffenen des Konflikts in Syrien gingen rund eine Million Euro ein.
Lassen Sie uns an dieser Stelle einen kurzen Blick auf die Entwicklungen in dieser Region werfen, auf die Herr Dr. Müller später noch eingehen wird. Inzwischen geht der Krieg in Syrien in sein neuntes Jahr und noch immer ist die humanitäre Situation in dem Land prekär. Und auch die Situation in den Nachbarländern, in welchen der Großteil der syrischen Flüchtlinge lebt, spitzt sich weiter zu.
Im Libanon beispielsweise wird die Stimmung ihnen gegenüber zunehmend feindseliger mit immer neuen Repressalien. Und nicht nur dort steigt der Druck auf die geflüchteten Syrer, möglichst bald in ihre Heimat zurückzukehren.
Auch hierzulande wird wieder und wieder über die Situation in Syrien diskutiert - oft mit erschreckender Unkenntnis und Polemik. Ich bin der festen Überzeugung, dass die fehlenden Lebensperspektiven wie auch die politische Verfolgung eine erzwungene Rückführung ausschließen. Man kann diese Menschen nicht in ein Land zurück schicken, in dem ihre elementarsten Bedürfnisse missachtet und in dem etwa Wehrdienstverweigerer als Landesverräter behandelt werden.
In diesem Zusammenhang möchte ich etwas grundsätzlicher werden. Der Deutsche Caritasverband hält die jüngsten Gesetzesänderungen, die auf Initiative des Bundesinnenministeriums auf den Weg gebracht wurden, für inhuman und nicht praktikabel. Dieses sogenannte "Migrationspaket" ist alles andere als ausgewogen. Ohne auf die Expertise von Verbänden und der Zivilgesellschaft zu bauen, wurde das Paket im parlamentarischen Verfahren verabschiedet.
Vor allem das "Geordnete-Rückkehr-Gesetz" wird fatale Folgen haben. Es schafft einen Status, der die Integrationsbedingungen deutlich verschlechtert, indem er unter anderem die Leistungen für Asylsuchende und Geduldete weiter einschränkt. Besonders kritisch sehen wir die Ausweitung der Abschiebehaft, die aus unserer Sicht klar europarechtswidrig ist und darüber hinaus die Zahl der Ausreisen nicht signifikant erhöhen wird.
Ich möchte die heutige Gelegenheit auch dazu nutzen, denjenigen meinen großen Dank auszusprechen, die unsere weltweiten Projekte für Menschen in Not umsetzen - und hierfür mitunter ihr Leben riskieren. Drei Ereignisse haben uns dies im vergangenen Jahr in erschreckender Weise vor Augen geführt.
Im Mai 2018 verschwand die kolumbianische Friedensaktivistin Deyanira Guerrero spurlos. Sie war Teilnehmerin eines Projekts, das unter anderem von Caritas international gefördert wird. Im Juli drangen Bewaffnete in den Bischofssitz in Bambari im Osten der Zentralafrikanischen Republik ein und ermordeten den lokalen Caritas-Direktor Firmin Gbagoua. Zudem töteten Mitglieder einer bewaffneten Gruppe den Mitarbeiter eines weiteren Projektpartners in Nordwestkamerun. Der aus Kenia stammende Vikar Cosmos Omboto Ondari kam bei einem Beschuss der Kirche in Kembong ums Leben, in der gerade verschiedene Hilfsaktionen für Vertriebene stattfanden.
Es sind drei Beispiele, die symbolhaft zeigen, welches Risiko die Mitarbeitenden unserer Partner in aller Welt eingehen, um sich für ihre Mitmenschen zu engagieren. Die weltweiten Zahlen zeigen, dass dies keine Einzelfälle sind. 2018 stieg die Zahl der humanitären Helfer, die Opfer von Gewalt wurden, auf einen Höchstwert: 126 von ihnen wurden getötet, 143 verletzt und 130 entführt.
Ich sprach zuvor über die immer zahlreicher werdenden chronischen Krisen. Ich meine damit die Situation in Ländern wie der Ukraine, in Syrien, dem Jemen, dem Irak, den Staaten rund um den Tschadsee, der Zentralafrikanischen Republik, dem Kongo und Venezuela. Und die Zahl humanitärer Krisen steigt weiter an. So hat sie sich in den vergangenen zehn Jahren nahezu verdoppelt. Auch ihre Dauer nimmt kontinuierlich zu.
Neben der Zahl der Krisen hat sich auch die Zahl der Menschen in Not deutlich erhöht. Waren es im Jahr 2010 noch 52 Mio. Menschen, liegt die Zahl laut UN derzeit bei rund 132 Mio. Bei diesem enormen Zuwachs der Betroffenenzahlen kann es nicht verwundern, dass die Hilfe für unzählige der weltweiten Krisen nach wie vor massiv unterfinanziert ist. Laut Vereinten Nationen fehlten im Jahr 2018 elf Mrd. US-Dollar für die Hilfe in humanitären Krisen.
Hinzu kommt, dass auch das Budget für die Friedensmissionen der UN, also für die sogenannten Blauhelmeinsätze, erneut gekürzt wurde. Erst Ende Juni einigten sich die Mitgliedstaaten darauf, die Mittel für den Zeitraum zwischen Juli 2019 und Juni 2020 um 65 Mio. US-Dollar zu kürzen.
Anstatt die Mittel für den Schutz und die Hilfe für Menschen in Not zu erhöhen, werden stattdessen vielerorts die Ausgaben für das Militär deutlich erhöht. Wie Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg Ende Juni mitteilte, steigen die Militärausgaben der Bündnismitglieder aller Voraussicht 2019 im fünften Jahr in Folge. Getrieben von US-Präsident Donald Trump lassen sich viele Länder dazu drängen, das vereinbarte Fernziel der Nato, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben, möglichst schnell zu erreichen.
Und kaum jemand scheint dieses willkürlich festgelegte Ziel, das Milliardeninvestitionen in die Rüstung nach sich ziehen wird, ernsthaft in Frage zu stellen. So, als hätten die Verantwortlichen die negativen Erfahrungen des Kalten Krieges längst vergessen. Und einen kritischen, gesamtgesellschaftlichen Diskurs über dieses Thema findet man auch in Deutschland und anderswo nahezu vergeblich.
Es gibt viele Beispiele, die zeigen, dass höhere Militärausgaben die humanitäre Situation in vielen Teilen der Welt keinesfalls verbessert haben. Schauen wir nach Afghanistan, ein Land, in dem wir uns mit unserem Hilfswerk Caritas international seit langem intensiv engagieren. Auch 18 Jahre nach Beginn der militärischen Intervention schwelt der Konflikt zwischen der Zentralregierung in Kabul und den radikalislamischen Taliban. 6,3 Mio. Menschen in Afghanistan sind nach UN-Angaben auf humanitäre Hilfe angewiesen. Man darf sich nicht vorstellen, was zivile Organisationen mit den mehr als 900 Mrd. US-Dollar hätten erreichen können, die das US-Militär in den vergangenen knapp zwei Jahrzehnten für den Krieg in Afghanistan ausgegeben hat. Angesichts der verfahrenen Lage vor Ort können Nichtregierungsorganisationen wie die Caritas nur das Ziel verfolgen, das Leid für die Bevölkerung zumindest ein Stück weit zu lindern.
Es ist nicht nachzuvollziehen, wenn auf weltpolitischer Ebene davon geredet wird, Fluchtursachen bekämpfen zu wollen, während parallel dazu die Armeen hochgerüstet werden. Es ist darüber hinaus kaum zu begreifen, dass weiterhin deutsche Rüstungsgüter in Kriegen wie dem in Syrien oder im Jemen eingesetzt werden und sich die Situation in diesen Ländern auch dadurch weiter verschlechtert.
Ich betone durchaus, dass ich die Anstrengungen grundsätzlich begrüße, welche die Bundesregierung in den vergangenen Jahren unternommen hat, um weltweit eine größere Rolle als Förderer humanitärer Hilfe einzunehmen. So wurde Deutschland in diesem Bereich zuletzt etwa zum drittgrößten Geber weltweit nach den USA und der EU
Sollte Deutschland wie viele andere Staaten aber dem Druck nachgeben und sich dem Zwei-Prozent-Ziel der Nato Stück für Stück weiter annähern, muss davon ausgegangen werden, dass mittelfristig weniger Geld für die humanitäre Hilfe und die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung stehen wird. Angesichts der Vielzahl der weltweiten Krisen wäre das eine fatale Entwicklung, vor der wir eindringlich warnen! Wir fordern, dass die Bundesregierung das Zwei-Prozent-Ziel der Nato zur Diskussion stellt und gesprächsbereit über die Frage ist, wofür das Geld im Fall der Fälle verwendet werden sollte. Geht es um reine Abschreckungsmaßnahmen oder könnten die zusätzlichen Mittel auch dafür eingesetzt werden, friedenssichernde Missionen zu finanzieren? In keinem Fall dürfen aber höhere Militärausgaben zulasten der humanitären Hilfe oder der Entwicklungszusammenarbeit gehen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Prälat Dr. Peter Neher
Präsident des Deutschen Caritasverbandes