Korruption in den Ländern des Südens ist eines der zentralen Hemmnisse für eine erfolgreiche wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Ist Bestechung verbreitet, fehlt die für wirtschaftliches Handeln notwendige Rechtssicherheit. Werden öffentliche Mittel veruntreut, ist die öffentliche Infrastruktur marode. Beherrscht Nepotismus den öffentlichen Dienst, schwächt dies die staatliche Leistungsfähigkeit und werden Leistungsträger ohne Beziehungen entmutigt. Und: Korruption trifft die Armen; sie leiden besonders, wenn das Geld für Lehrer oder Medikamente versickert. Der Kampf gegen Korruption ist also kein westliches Modethema, er wird getragen von vielen Menschen in den Entwicklungsländern, die sich dort für bessere Lebensbedingungen einsetzen.
Korruption ist ein globales Phänomen, es ist nicht auf den Süden beschränkt. Zur Bestechung gehören immer zwei Seiten. Bis 1999 konnten in Deutschland Bestechungszahlungen an außereuropäische Geschäftspartner von der Steuer abgesetzt werden. Trotz der Fortschritte, die die Umsetzung der OECD-Konvention gegen Bestechung im internationalen Geschäftsverkehr brachte: Weiterhin werden öffentliche Amtsträger in Entwicklungsländern durch international tätige Firmen mit dem Ziel bestochen, einen öffentlichen Auftrag zu sichern.
Korruption tangiert auch die Entwicklungshilfe. In vielen Ländern, in denen Hilfe geleistet wird, ist Korruption ein Alltagsphänomen. Die Institutionen sind zu schwach, um Korruption wirksam zu begrenzen. Wer in Entwicklungsländern helfen will, kann nicht vermeiden, Risiken einzugehen. Wer keine Risiken eingeht, kann nicht helfen. Dies gilt in besonderer Weise für die humanitäre Hilfe, die häufig unter Bedingungen zerfallender Staatlichkeit zu leisten ist.
Die staatlichen Träger der Entwicklungspolitik und auch die Hilfswerke tun sich weiterhin schwer damit, offen über die Risiken zu sprechen. Es dominiert die Sorge, eine offene Benennung der Probleme könne dem Ansehen der Entwicklungszusammenarbeit schaden. Aber seit die Weltbank den Kampf gegen Korruption zu einem ihrer Hauptanliegen erklärt hat und auch nicht davor zurückschreckt, die Risiken der Korruption in den von ihr selbst finanzierten Projekten zu thematisieren, wird die bisher strenge Tabuisierung des Problems brüchig. Die Enttabuisierung ist dringend notwendig, damit Korruptionsrisiken wirksam begrenzt werden können. Je besser es den Trägern der Entwicklungszusammenarbeit gelingt, in ihrem Verantwortungsbereich Transparenz zu sichern, desto wirksamer unterstützen sie gleichzeitig die Kräfte in den Entwicklungsländern, die sich dort für gute Regierungsführung einsetzen.
Die bei weitem umfangreichste Form der Korruption in der staatlichen Verwaltung der Entwicklungsländer ist die Veruntreuung mit Hilfe des "kick-back" bei der staatlichen Auftragsvergabe. Beim "kick-back" stellt der Auftragnehmer eine überhöhte Rechnung aus, die dann aus öffentlichen Mitteln (einschließlich der Mittel aus der Entwicklungszusammenarbeit) beglichen und verbucht wird. Ein Teil des überhöhten Betrages wird an die für die Auftragsvergabe verantwortlichen Amtsträger informell zurückgegeben ("kick-back"). Zur Absicherung des kick-back müssen meist auch die Verfahren zur Vergabe der Aufträge manipuliert werden. Korrupte Amtsträger verwenden in aller Regel elaborierte Methoden, um Veruntreuung durch den Schein der Legalität abzusichern. Administrative Kontrollen - so wichtig sie sind - sind allein nicht in der Lage, solche Manipulationen aufzudecken. Korruptionskontrolle muss daher umfassender erfolgen. Dazu gehört u.a. eine realistische Projektplanung, gute Kenntnis über die örtlichen Preise und eine Erfassung der Zielerreichung des Projekts. Ist dies gegeben, gibt es gute Chancen, Korruption zu begrenzen oder im Ernstfall aufzudecken.
Korruption wurde lange als ein vorrangiges Problem des staatlichen Sektors betrachtet. Dort ist Korruption besonders gefährlich, da sie sich mit politischer Macht verbindet. Aber auch Verantwortungsträger im nicht-staatlichen Bereich können ihre Stellung zum privaten Vorteil missbrauchen, somit korrupt werden. Die Methoden, Korruption abzusichern, einschließlich des kick-back, sind bei Nicht-Regierungsorganisationen ähnlich wie im staatlichen Sektor. Auch Hilfswerke, die mit Nicht-Regierungsorganisationen zusammenarbeiten, müssen also Risikovorsorge betreiben.
Bei den Hilfswerken ist in den letzten Jahren viel geschehen, um Transparenz zu sichern und Korruptionsrisiken zu begrenzen. Klare Regelungen zur Kontrolle der Mittelverwendung gelten nicht mehr als Widerspruch zu einem Geist der Partnerschaft. Eine vertragliche Regelung der Zusammenarbeit mit klaren Rechten und Pflichten beider Seiten ist heute die Regel. Auch werden mehr und mehr Projekte im Bereich der Nicht-Regierungsorganisationen einer externen Wirtschaftsprüfung unterzogen. Caritas international und die anderen kirchlichen Hilfswerke haben den Vorteil, dass sie langfristig mit Partnern zusammenarbeiten, die dauerhaft vor Ort präsent sind. Sie können ihre Projektförderung damit verbinden, Partner beim Aufbau ihrer Strukturen zu beraten, damit Transparenzsicherung gelingt. Transparenz kann nicht allein von außen erzwungen werden, sondern muss ein Anliegen der Partner selbst sein. Wie angemessene Leitungs- und Aufsichtsstrukturen aufzubauen sind, ist Teil des Dialogs mit unseren Partnern.
Opfer von Korruption sind oft die Armen, die Hilfe nicht erhalten. Eine erfolgreiche wirkungsorientierte Korruptionskontrolle sollte also auch die Zielgruppen der Hilfe einbeziehen. Dies kann Risiken vor Ort aufdecken, wenn etwa die Hilfe nicht ankommt, weil die für die Verteilung Verantwortlichen die Hilfsgüter an lokale Händler verkaufen. Ein solches "social auditing" kann in der Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen geleistet werden, die vor Ort präsent sind, und gelingt nur in einer langfristigen Zusammenarbeit. Auch hier hat die Zusammenarbeit mit vor Ort verankerten Organisationen in den Ländern des Südens einen Vorteil, den es zu nutzen gilt.
Die Begrenzung der Korruptionsrisiken kann nur gelingen, wenn die in der Humanitären Hilfe und der Entwicklungszusammenarbeit tätigen Mitarbeitenden mit dem Problem nicht alleine gelassen werden. In der langen Zeit der Tabuisierung ist genau das geschehen. In der Aus- und Weiterbildung der Mitarbeitenden muss offen über die Risiken gesprochen werden. Nur so entwickeln Mitarbeitende die Sensibilität und das Wissen, Risiken auch in unübersichtlichen Situationen einschätzen zu können. Wer vor Ort in der Humanitären Hilfe und der Entwicklungszusammenarbeit tätig ist, wird zudem immer wieder mit Situationen konfrontiert, in denen es schwierig wird, alle Verhaltensrichtlinien einzuhalten. So etwa, wenn in einem Staat ohne Rechtssicherheit korrupte Polizisten oder Zollbeamte eine dringend benötigte Nothilfelieferung zu einem Flüchtlingslager blockieren, um ein "Beschleunigungsgeld" zu erzwingen. Auch hier dürfen Mitarbeitende nicht allein gelassen werden, das Problem "irgendwie" zu lösen. Mitarbeitende brauchen zudem Ansprechpartner, an die sie sich wenden können, wenn sie auf Verdachtsmomente stoßen.
Auch institutionelle Hemmnisse sind zu beachten. Korruptionskontrolle wird erschwert, wenn staatlich gesetzte Verausgabungsfristen den Zwang erzeugen, Mittel schneller auszugeben, als es die örtlichen Bedingungen zulassen. "Mittelabflusszwänge" sollten also vermieden werden. Transparenz kann auch nur dort gelingen, wo die legitimen institutionellen Interessen unserer Partnerorganisationen gewahrt werden. Sie können nur dauerhaft Hilfe leisten, wenn sie qualifiziertes Personal gewinnen und halten können. Transparente Projektförderung geht nicht ohne transparente Finanzierung der notwendigen Personal- und Verwaltungskosten. Die auch von den Hilfswerken lange gepflegte Dämonisierung von Verwaltungskosten ist heute zum Glück weitgehend überwunden. Denn für eine Begrenzung der Korruptionsrisiken war sie kontraproduktiv.
Wichtig für eine erfolgreiche Korruptionskontrolle ist auch, dass die Hilfswerke und die öffentlichen Geldgeber, die ihre Arbeit unterstützen, offen über Korruptionskontrolle sprechen können. Dies war nicht immer der Fall. Ein Missbrauchsfall in einem öffentlich geförderten Projekt ist ex definitione erstmal ein Bruch der Bewilligungsbedingungen und kann die Forderung an das Hilfswerk auslösen, die Mittel zurückzuzahlen. Es gibt mittlerweile einige Beispiele, in denen öffentliche Geldgeber anerkannt haben, dass ein Missbrauch von Projektmitteln, der leider nicht verhindert werden konnte, den risikoreichen Bedingungen vor Ort geschuldet war und nicht Folge der Nachlässigkeit des Hilfswerks; auf eine Rückzahlung durch das Hilfswerk wurde dann seitens der Geldgeber verzichtet. Dieses die Bedingungen des Einzelfalls würdigende Vorgehen hilft, die Tabuisierung der Probleme zu überwinden und nützt der Korruptionskontrolle.
Über Korruptionsrisiken zu reden, ist auch heute für Hilfswerke risikoreich. Die Sorge ist verständlich, damit dem Wunsch nach Skandalisierung einiger Medien zuzuarbeiten und Spender zu verschrecken. Aber Spender(innen) wollen heute - erfreulicherweise - weit besser als früher informiert werden, was mit ihrem Geld geschieht. Sie dokumentieren mit ihrer Spende, dass sie sich für die Lebensbedingen in den Ländern des Südens interessieren. Es bleibt ihnen nicht verborgen, dass die Hilfe unter Bedingungen geleistet werden muss, in denen Risiken unvermeidbar sind. Hilfswerke brauchen einen Umgang mit der Öffentlichkeit, der die Risiken nicht ausklammert. Ich bin überzeugt, dass dies auch zum Vertrauen bei Spendern beiträgt.
Es geht bei der Korruptionskontrolle nicht darum, einen Krieg zu führen. Es geht darum, die Bedingungen für Transparenz zu verbessern, um wirksame Hilfe zu ermöglichen. Letztendlich ist das Ziel auch der Korruptionskontrolle in der Humanitären Hilfe und der Entwicklungszusammenarbeit, die Lebensbedingungen der Menschen in den Ländern des Südens zu verbessern. Es ist eine der gesicherten Erkenntnisse aus der Entwicklungszusammenarbeit, dass dies ohne gute Regierungsführung nicht gelingen kann.
17.06.2009