Ich lade Sie ein, mit mir auf eine gedankliche Reise zu gehen: Auf eine Reise in eine Welt, in der keine Dürren oder heftige Stürme die Lebensgrundlagen der Menschen zerstören. Eine Welt, in der die Menschen nicht gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen, um in einem fremden Land Arbeit und Auskommen zu finden. Eine Welt, in der niemand unter menschenunwürdigen Bedingungen Coltan für unsere Smartphones abbauen muss. Eine Welt, in der keine Kleidung im Auftrag europäischer Firmen unter menschenverachtenden Bedingungen produziert und billig in Europa verkauft wird.
Ich weiß, dass das alles sehr phantastisch und wohl auch weltfremd klingt. Denn die Welt, in der wir leben, ist leider eine andere: Der Taifun auf den Philippinen; die Brände in Kleiderfabriken in Bangladesch, bei denen viele hundert Frauen erstickten und verbrannten; die Flüchtlinge aus Mali, dem Sudan und dem Kongo - fast täglich berichten die Medien über diese oder andere schreckliche Ereignisse. Machen wir uns Gedanken darüber, dass unser eigenes Handeln damit in Verbindung stehen könnte?
Die Welt ist klein geworden: Weltweiter Handel und weltweite Kommunikation sind über Kontinente und Ländergrenzen rund um die Uhr möglich. Diese Entwicklung bringt viele Vorteile. Aber sie hat auch ihren Preis - den die Menschen vor allem in den Entwicklungsländern zahlen. Das Konsumverhalten und der Lebensstandard in den reichen Ländern wirken sich auf die Umwelt und die Lebensbedingungen in den armen Regionen aus. Naturkatastrophen und die Arbeitsbedingungen der Näherinnen in Bangladesch machen dies auf bedrückende Weise deutlich.
"Weit weg ist näher als du denkst"
Wir haben uns in diesem Jahr wieder einiges vorgenommen. Der Deutsche Caritasverband stellt gemeinsam mit seinem Hilfswerk für Not- und Katastrophenhilfe Caritas international die negativen Auswirkungen einer global vernetzten Welt in das Zentrum seiner öffentlichen Kommunikation. Wir zeigen Zusammenhänge zwischen dem Verhalten in reichen Ländern und den Auswirkungen in armen Ländern. Wir wollen dafür sensibilisieren, dass jeder Einzelne durch seine Entscheidungen dazu beitragen kann, die Welt sozialer und gerechter zu machen. Vier Themen stehen dabei im Zentrum: Der Klimawandel und der Krieg um Rohstoffe, Flucht und Vertreibung sowie Migration und Integration.
Klimawandel und Katastrophenprävention
Viele haben sich daran gewöhnt, auch kurze Strecken mit dem Auto zu fahren. Wir fliegen gern in ferne Länder und freuen uns über günstige Flugpreise. Unser Energieverbrauch belastet dabei das weltweite ökologische Gleichgewicht. Durch den Klimawandel steigt die Zahl der Naturkatastrophen; Dürren, Überschwemmungen und bedrohliche Stürme nehmen zu. Betroffen davon sind vor allem die ärmeren Länder. Sie zahlen den Preis dafür, dass kurzfristige wirtschaftliche Interessen noch immer höher bewertet werden als Klimaschutz. So ist die Katastrophenvorsorge inzwischen ein wichtiger Bestandteil der humanitären Hilfe geworden. Caritas international engagiert sich hier in Modellprojekten zum Beispiel im Sahel und Kambodscha. Andrea Hitzemann, Beauftragte Caritas international, wird dies an Beispielen vorstellen.
Doch wir sind auch als deutsche Caritas im Inland gefordert, Verantwortung zu übernehmen: Die Kampagne will dazu beitragen, in den Einrichtungen und Diensten der Caritas das Umweltbewusstsein zu schärfen und zu einem umweltgerechteren und ressourcen-schonenderen Handeln beizutragen. So sollen bestehende Initiativen und Projekte, wie beispielsweise der Bau von Passivhäusern (wie beispielsweise von der Caritas Frankfurt) oder der gezielte Einkauf umweltschonender Produkte innerhalb des Verbandes gefördert werden. Mit Hilfe einer ökologischen Unternehmenspolitik wollen wir so unseren Beitrag zur Bewältigung des Klimawandels leisten und zur Bewahrung der Schöpfung beitragen.
Der Kampf um Rohstoffe und die Bedeutung von Recycling
Viele Menschen können sich ein Leben ohne Smartphone nicht mehr vorstellen. Nur Wenige wissen, dass das für die Handy-Produktion erforderliche Tantal, gewonnen aus dem Rohstoff Coltan, meist unter menschenunwürdigen Bedingungen gefördert wird. Die Demokratische Republik Kongo ist eines der rohstoffreichsten Länder und zugleich eines der ärmsten Länder dieser Welt. Korrupte Machthaber und ein seit Jahren währender blutiger Konflikt haben dazu geführt, dass viele Familien durch Flucht und Vertreibung ihre Lebensgrundlage verloren haben. Caritas international unterstützt diese Familien und hilft ihnen, sich wieder eine neue Lebensgrundlage aufzubauen.
Brauchen wir wirklich das neueste Smartphone, den leistungsstärksten PC? Wir möchten mit unserer Kampagne dazu ermutigen, sich diese Frage immer wieder zu stellen. Und wir wollen daran erinnern, wie wichtig die professionelle Verwertung alter Geräte ist. Nur so können die Rohstoffe erneut genutzt werden. Das Ziel muss es sein, dass unsere alten Geräte nicht mehr auf den Müllhalden Afrikas landen, wo die Menschen, darunter auch viele Kinder, gezwungen sind, unter erbärmlichen und gesundheitsschädigenden Bedingungen unseren Elektroschrott zu entsorgen.
Die Caritas in Deutschland hat die Aktion CaritasBox begründet: Dabei werden die über die Caritas gesammelten aussortierten Mobiltelefone in Deutschland überprüft. Sind sie noch funktionsfähig, werden sie hier an Zwischenhändler verkauft, ansonsten im Inland recycelt.
Eine bewusste Auseinandersetzung mit dem eigenen Konsumverhalten wird nur möglich, wenn die Verbraucher mehr über die Produktion und die Entsorgung dieser Geräte erfahren. Notwendig sind Zertifizierungen, die dem Konsumenten helfen, fair produzierte Waren zu erkennen und zu kaufen.
Flüchtlinge schützen - Arbeitsmigration menschlich gestalten
In den Mitgliedstaaten der EU haben im vergangenen Jahr 330.000 Menschen Schutz gesucht. Noch immer ist es der Europäischen Union nicht gelungen, zu einer gemeinsamen Asylpolitik zu kommen. Angesichts der vielen hundert Toten vor der Insel Lampedusa war die Betroffenheit der Politiker, aber auch vieler EU-Bürger groß. Doch für die Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen muss immer wieder neu in den Ländern der EU, aber auch hier bei uns, geworben werden.
Papst Franziskus hat in seinem Apostolischen Schreiben "Evangelii Gaudium" klare Worte gefunden: "Die Migranten stellen für mich eine besondere Herausforderung dar, weil ich Hirte einer Kirche ohne Grenzen bin, die sich als Mutter aller fühlt. Darum rufe ich die Länder zu einer großherzigen Öffnung auf, die, anstatt die Zerstörung der eigenen Identität zu befürchten, fähig ist, neue kulturelle Synthesen zu schaffen. Wie schön sind die Städte, die das krankhafte Misstrauen überwinden, die anderen mit ihrer Verschiedenheit eingliedern und aus dieser Integration einen Entwicklungsfaktor machen!"
Im Bereich der Arbeitsmigration zeigen sich die globalen Verflechtungen eindrücklich. Viele Menschen möchten so lange wie möglich zu Hause leben, auch wenn sie Unterstützung oder Pflege brauchen. Den meisten Familien ist es nicht möglich, diese Aufgabe alleine zu bewältigen, sie sind auf Hilfe angewiesen. Sie bekommen sie meist von Frauen aus Ost- und Mitteleuropa, die bei uns in der Pflege und im Haushalt arbeiten. Sie sind für die Angehörigen hier eine große Entlastung, werden aber schmerzlich vermisst von den eigenen Kindern und den eigenen Eltern.
Für diese Frauen sind geregelte und verlässliche Arbeitsbedingungen und eine tarifliche Entlohnung unerlässlich. Für ihre Kinder muss eine gute Versorgung sichergestellt sein. Die Politik hat auf diese Fragen noch keine Antworten gefunden, die Betroffenen fühlen sich oft alleingelassen. Deswegen hat die Caritas in Projekten Lösungen für die betroffenen Familien und die osteuropäischen Pflege- und Haushaltshilfen entwickelt. So haben die Caritas in Paderborn und die polnische Caritas gemeinsam ein Konzept erarbeitet, das eine Pflege rund um die Uhr und faire Arbeitsbedingungen bei uns ermöglicht und eine Versorgung für die Kinder im Herkunftsland sicherstellt.
"Weit weg ist näher als du denkst"
Längst schon sind wir also "globale Nachbarn". Diese Idee prägt die Plakate der Caritas-Kampagne 2014, wie sie gleich von Frau Fank-Landkammer vorgestellt werden. Rasenmähen am Sonntagmorgen um 08:00 Uhr geht nicht. Müll abladen vor der Haustür des Nachbarn ebenfalls nicht. Warum sollte es weltweit anders sein, nur weil der Nachbar weniger kräftig ist und ein paar Tausend Kilometer weiter weg lebt? Unsere Welt ist längst zum Dorf geworden; das schätzen wir, wenn wir weltweit miteinander im Kontakt sein können - aber deshalb sind wir auch füreinander verantwortlich!
Die Bedeutung des eigenen Handelns zu erkennen und sich seiner Wirkungen bewusst zu werden, ist eines der Ziele, das wir mit dieser Kampagne verbinden. Als Wohlfahrtsverband der katholischen Kirche möchten wir an die besondere Rolle erinnern, die uns Menschen im Umgang mit der Welt zukommt: Verantwortungsvoll und fürsorglich mit allem Leben auf dieser Erde umzugehen. Denn die Welt ist eine Leihgabe Gottes an uns Menschen, sie ist seine Schöpfung. Wer von "Schöpfung" spricht, verpflichtet sich zu einem verantwortlichen Umgang mit sich selbst, mit seinen Mitmenschen und mit seiner Umwelt. Wenn die Kampagne des Deutschen Caritasverbandes dazu einen Beitrag leisten kann, wäre viel erreicht.
Prälat Dr. Peter Neher
Präsident des Deutschen Caritasverbandes