„Er wird durchkommen“
Krankenschwester Victoria Tholley, Nonne der Partnerorganisation Sisters of St. Joseph of Cluny, besucht Frau Sesay und ihre Schwester inzwischen regelmäßig.Foto: Bente Stachowske / Caritas international
"Mein Sohn hat hohes Fieber. Ist es Malaria?", fragt sich die junge Mutter Jennet Sesay, als sie an diesem Morgen im Dorf Tripoli zur Mütter-Ernährungsgruppe kommt und Krankenschwester Victoria Tholley antrifft. Frau Tholley ist Nonne der Partnerorganisation Sisters of St. Joseph of Cluny in der Kleinstadt Kono im Osten von Sierra Leone. Seit ein paar Jahren betreiben die "Cluny Sisters" ein großes Projekt zur besseren Ernährung von Müttern und Kleinstkindern.
Leider bestätigt sich die Angst von Jennet Sesay, ihr zehnmonatiger Sohn Alimany hat Malaria. "Er wird durchkommen", beruhigt die ausgebildete Krankenpflegerin die Mutter und gibt ihr Medikamente. Währenddessen bereiten einige Mütter eine besonders eiweißhaltige Zusatznahrung für Babys vor - angeleitet werden sie dabei von Finda Fillie. Der pastenartige Brei wird aus lokal verfügbaren Lebensmitteln hergestellt. Stark unterernährte Babys und Kleinkinder, deren Entwicklung verzögert ist, holen schnell auf, wenn sie mit dieser Paste ernährt werden. Ihr Ernährungszustand kann somit von den Müttern selber verbessert werden, wenn sie einmal die Zubereitung erlernt haben. Doch es bleibt nicht allein bei der Zusatznahrung. In Schulungen erfahren die Mütter alles Nötige über Ernährungsfragen, Gesundheit und Krankheiten. Zudem wiegt Schwester Tholley monatlich die Babys und berät die Mütter individuell.
Bessere Ernährung gegen hohe Kindersterblichkeit
Jennet Sesay ist eine von hunderten Müttern, die bei der Caritas Freetown überlebenswichtige Hilfe für ihr Kleinkind findet.Foto: Bente Stachowske / Caritas international
Das Projekt erreicht tausende Frauen und Kleinkinder. Auch Jennet Sesay nimmt die frisch hergestellte Paste, bekannt als HPD, mit nach Hause, um ihr krankes Baby wieder auf die Beine zu bringen. Die 20-jährige Frau ist alleine für Haushalt und Kind verantwortlich, ihr Mann hat sie verlassen. "Das hatte ich mir so nicht vorgestellt. Ich wollte drei Kinder haben", erzählt sie. Sie wohnt mit ihrer drei Jahre älteren Schwester Sia, die zwei Kinder hat und ebenfalls kürzlich von ihrem Partner verlassen wurde, in einem Haus mit zwei Wohnräumen. "Unsere Familie wurde umgesiedelt, wegen der großen Diamantenmine nicht weit von hier. Das Haus mieten wir von der Minen-Gesellschaft. Mein Mann hat als Diamantenwäscher am Rande der Mine gearbeitet, in den sandigen Resten, die die Maschinen ausspucken", erzählt sie.
Davon kann eine Familie kaum leben, entsprechend hoch ist daher die allgemeine Unterernährung unter der Bevölkerung - und als Folge die Kindersterblichkeit. Sierra Leone hat die höchste Kindersterblichkeit der Welt, der von Armut geprägte Kono Distrikt ist besonders betroffen.
Im Schatten des Schürfgeschäftes
Die Wirtschaft in Sierra Leone ist schwach und geprägt von Landwirtschaft und Rohstoffgewinnung. Die meisten Frauen in Sierra Leone leben von einfachen Jobs. Sie verkaufen Kleinigkeiten, wie Jennet Sesay und Aminata Sesay oder leben vom Sand: so wie Fatmata Bangura. Fatmata hat sich ihren Job nicht ausgesucht, sie hat nichts anderes gefunden.Foto: Bente Stachowske / Caritas international
Die Gegend um Kono, in der auch Jennet Sesay wohnt, ist reich an Ressourcen. Vor dem Bürgerkrieg galt Kono als Brotkorb des Landes. Nun werden Gold und Diamanten von industriellen Bergbauunternehmen geschürft. Und dennoch ist die Bevölkerung sehr arm. Viele Männer und Frauen graben mit Schaufeln und zum Teil mit bloßen Händen am Rande der Minen nach Edelsteinen und waschen die Erde nach Gold - fündig werden sie selten. Die Armut ist aber auch eine Langzeitfolge des Bürgerkrieges, der die Region stark getroffen hat. Und: Sierra Leone hat die höchste Kindersterblichkeit der Welt.
Frau Sesay und ihre Schwester betreiben in ihrem kleinen Haus einen Lebensmittel-Markt. Was sich gut anhört, wirft so wenig Geld ab, dass die fünf Menschen davon nicht leben können. Gerade einmal fünf Euro die Woche verdienen die beiden Schwestern vom Verkauf ihrer Lebensmittel. Das Einkommen des Tages entscheidet darüber, ob es Reis mit einem Gewürzwürfel und etwas Palmöl gibt, oder ein Essen mit Fisch oder Ei. Eine Mahlzeit mit Eiweiß gibt es nur zwei bis drei Mal in der Woche - das ist zu wenig für alle und vor allem für den kleinen Alimany.
Die Cluny-Schwestern sorgen nun für die Ernährung des Kleinen und begleiten seine Mutter. Sie sind eine der wenigen Lichtblicke im Leben der beiden Schwestern.
Jörg Schaper, November 2018