Ein Beitrag von Stefan Teplan
Mitarbeiter des Referats Öffentlichkeitsarbeit und Fundraising bei Caritas international
19. Oktober 2023 / Lesedauer: 3 Minuten
Caritas international: Kann man als humanitäre christliche Organisation überhaupt mit den Taliban zusammenarbeiten?
Henrike Bittermann: Wir haben uns das auch gefragt, als die Taliban im August 2021 die Macht wieder übernahmen. Eine direkte Zusammenarbeit kam für uns nicht in Frage. Wir haben damals unsere Hilfsprojekte zunächst gestoppt, um zu verstehen, in welche Richtung die neue Regierung geht und worauf wir uns einstellen müssen. Um weiter arbeiten zu können, müssen wir MoUs (Memorandums of Understanding/Absichtserklärungen - Anm. des Interviewers) mit den einzelnen Provinzregierungen abschließen, die entscheiden, ob wir eine bestimmte Hilfe leisten dürfen oder nicht. Es gibt also einige grobe Rahmenbedingungen, die wir mit den Taliban eingehen müssen, aber wir können weiterhin aktiv sein.
Werden Ihnen dabei nicht Beschränkungen auferlegt oder Kompromisse aufgezwungen, was Prinzipien der Caritas im Kern trifft, gerade was die Rolle von Frauen betrifft?
Bittermann: Für uns ist wichtig, dass wir den Ansatz "Mit Frauen, für Frauen" weiter umsetzen können. Wenn die Möglichkeit nicht mehr besteht, dass Frauen mit uns und wir für Frauen arbeiten können, dann müssen wir diese Hilfen einstellen. Und dies ist auch in einigen bestimmten Provinzen, zum Beispiel in Kandahar, schon passiert. Wir gehen, was diesen Punkt betrifft, keine Kompromisse ein. Projekte, die der Gesundheit der Menschen dienen, sind von dem Arbeitsverbot für Frauen aber in der Regel ausgenommen. Und in anderen Fällen kann eine Provinzregierung für Hilfsorganisationen gelegentlich Ausnahmen von diesem Verbot erteilen. Das ist individuell sehr unterschiedlich und funktioniert an einigen Orten, an anderen nicht.
Ist es unter diesen Umständen so auch möglich, effektive Nothilfe zu leisten wie im aktuellen Fall nach dem Erdbeben vom 11. Oktober?
Bittermann: Ja, das ist es und wir tun dies bereits. Schließlich ist es auch im Interesse der Taliban-Regierung, dass Hilfen für die Bevölkerung geleistet werden, weil ihnen klar ist, in welcher prekären Situation ein Großteil der Menschen im Land ist. Als hilfreich hat sich in diesem Fall herausgestellt, dass wir schon vor dem Erdbeben in der betroffenen Region ein humanitäres Hilfs-Projekt betrieben. Jetzt haben wir die Möglichkeit, dieses Projekte aufzustocken und den humanitären Bedarf in den von der Katastrophe betroffenen Gebieten zu verringern.
Und welche Hilfen leisten Sie dort?
Bittermann: Der Fokus liegt in der Versorgung der Menschen mit den lebensnotwendigsten Hilfsgütern wie Lebensmitteln, Trinkwasser sowie mit Material, das den Menschen hilft, über den Winter zu kommen, mit Heizmaterial, Decken und Planen, um Zelte wetterfester zu machen. Wir können effektiv in den betroffenen Regionen Hilfe leisten und stimmen uns unter der Federführung der UN mit anderen Hilfsorganisationen ab, wer in welchem Distrikt tätig sein soll.
Erwägt man denn nach dieser Ersthilfe auch längerfristige Wiederaufbaumaßnahmen?
Bittermann: Fast alle Häuser in der Region wurden dem Erdboden gleich gemacht. Nach der geschilderten ersten Nothilfephase, wohl noch im Laufe des Winters, wird unser Engagement übergehen in eine Rehabilitationsphase, bei der wir noch entscheiden werden, ob es sinnvoller ist, direkten Wiederaufbau oder begleitende Maßnahmen beim Wiederaufbau zu leisten.
Trägt es zum Erfolg der Hilfe in Afghanistan bei, dass die Caritas auch dort, wie in vielen anderen Ländern, ihre Hilfe über lokale Partner umsetzt?
Bittermann: Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Wir agieren in Afghanistan nicht als katholische Organisation, weil das unter Umständen Schwierigkeiten für unsere Mitarbeitenden bringen könnte. Wir treten zwar als Caritas auf, aber nicht ausdrücklich als Hilfswerk der Katholischen Kirche. Wir arbeiten - neben Kooperationen mit der Caritas der USA (CRS) und den Niederlanden (Cordaid) - mit mehreren nationalen afghanischen Partner-Organisationen zusammen, die keinen christlichen Hintergrund haben, aber im Land sehr gut vernetzt sind und dadurch wesentlich dazu beitragen, dass die Hilfe die Menschen in Not erreicht.
Machen Sie mit! Teilen Sie unsere Beiträge und helfen Sie uns dabei, mehr Menschen zu erreichen.