Afghanistan: Das Überleben sichern
Humanitäre Krise nach Taliban-Machtübernahme
Die Militäroffensive der USA und ihrer Verbündeten in Afghanistan begann im Oktober 2001 als Reaktion auf die Anschläge des 11. September. Ende 2020 wurde ein Zeitplan für den Abzug der US-Truppen abgesteckt. Der Abzug verzögerte sich jedoch zwischenzeitlich, wurde dann aber unter US-Präsident Joe Biden im Mai 2021 fortgesetzt. Parallel zu den USA zogen auch die übrigen Nato-Truppen aus Afghanistan ab, darunter auch die deutsche Bundeswehr. Nachdem ein Großteil der ausländischen Soldaten und Soldatinnen das Land verlassen hatte, eroberten die Taliban Afghanistan in Windeseile zurück.
Seit der Machtübernahme durch die Taliban ist Afghanistan ins Chaos abgerutscht. Die Kämpfe und die Angst vor der Gewaltbereitschaft der neuen Machthaber haben zu noch mehr Fluchtbewegungen geführt. Annähernd 700.000 Menschen haben laut UNHCR allein im Jahr 2021 ihre Dörfer und Städte verlassen. Rund 5,5 Millionen Afghaninnen und Afghanen leben aktuell als Vertriebene im eigenen Land - und täglich werden es mehr.
In der Provinz Ghor hungert mittlerweile jeder zweite Einwohner. Im Sommer kommt die Dürre, im Winter wird es im Hochland bitterkalt. Gemeinsam mit der lokalen Partnerorganisation versorgt Caritas international viele tausend Menschen mit dem Nötigsten, um zu überleben.Foto: Sybille Mani / Caritas international
Auch die wirtschaftliche Situation verschlechtert sich rapide: Inflation und Arbeitslosenrate steigen stark an, das Bankensystem ist kollabiert. Die USA froren nach der Machtübernahme Milliarden-Reserven der Zentralbank des Landes ein. Kontoinhaber können nun nur noch kleine Beträge abheben, es gibt keine Kredite mehr und vielen Afghaninnen und Afghanen fehlt das Geld zum Leben. Die Preise für Lebensmittel haben sich in den vergangenen sechs Monaten verdoppelt, auch Dünger und Treibstoff sind extrem teuer geworden. Hinzu kam, dass viele Länder und ebenso die Weltbank ihre Hilfszahlungen im Rahmen der Sanktionen gegen die Taliban zunächst gestoppt haben.
All das trifft die Menschen im Land hart. Die Hälfte der rund 39 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner Afghanistans leidet unter akutem Hunger. Über drei Millionen Kinder sind mangelernährt. Humanitäre Hilfe ist in diesen Tagen wichtiger denn je; doch wegen des Bargeldmangels ist es derzeit auch für internationale Hilfsorganisationen schwer, ihre Hilfen aufzustocken. Lesen Sie hierzu ein Interview mit unserem Experten vor Ort, Stefan Recker.
Auch in Afghanistan ist gerade Winter. In Kabul und den Provinzen südlich der Hauptstadt fallen die Temperaturen nachts auf bis zu minus 15 Grad. Die Minusgrade sind für viele afghanische Familien lebensbedrohlich. Etwa 60 Prozent der Afghanen und Afghaninnen leben unterhalb der Armutsgrenze; genügend zu Essen, Heizmaterial oder warme Kleidung können sie sich nicht leisten. Hinzu kommen die Folgen der fatalen Dürreperiode im letzten Sommer. Afghanistan gehört zu den Ländern auf der Welt, die am meisten unter den Folgen des Klimawandels leiden. Die ausbleibenden Niederschläge haben dazu geführt, dass Ernten ausfallen, Tierfutter und Trinkwasser knapp sind. Die Lage der Bauern ist so dramatisch, dass Eltern teilweise ihre Kinder verkaufen müssen, um zu überleben.
Zusätzlich zu den extremen klimatischen Bedingungen, dem wirtschaftlichen Niedergang im Land und der Angst vor der neuen Regierung leiden die Menschen in Afghanistan auch noch unter den Folgen der Corona-Pandemie. Die Vereinten Nationen warnen davor, dass fast alle Menschen in Afghanistan im Jahr 2022 unter die Armutsgrenze fallen könnten, von 97 Prozent der Bevölkerung ist die Rede. Im Dezember beschloss der UN-Sicherheitsrat daher einstimmig, dass humanitäre Korridore geschaffen und Hilfen nach Afghanistan geliefert werden müssen. Caritas international unterstützt die Menschen in Afghanistan seit 30 Jahren. Seitdem wir vor Ort aktiv sind, haben wir - in Zusammenarbeit mit lokalen Partnerorganisationen - in 133 Gemeinden Projekte aufgebaut und durchgeführt. Auch unter den neuen Bedingungen laufen unsere Hilfen weiter.
Stand: Februar 2022