Venezuela: Hilfe für die Schwächsten
Ein Land hungert
„Ich konnte die Knochen meiner Tochter spüren, wenn ich sie gebadet habe“, erinnert sich Yusmarely Acuña. Regelmäßig essen zu können, ist für viele Venezolaner schon lange nicht mehr selbstverständlich. Durch die galoppierende Inflation sind Nahrungsmittel unerschwinglich geworden. Ende 2018 haben zwölf Eier 1.850.000 Bolivares gekostet, das entspricht dem Drittel eines durchschnittlichen Lohnes in Venezuela.
78 Prozent der Bevölkerung essen deshalb weniger als vor der Wirtschaftskrise. Befragungen der Caritas Venezuela belegen das. Vor allem Kinder leiden. Denn bis zum zweiten Lebensjahr hat Mangelernährung einschneidende Konsequenzen für die körperliche und geistige Entwicklung. Schon im vergangenen Jahr legten die (nicht repräsentativen) Studien nahe, dass 300.000 Kinder unter fünf Jahren in Venezuela unterernährt sind. Genauere Zahlen gibt es nicht, weil der Staat sie nicht veröffentlicht.
Mangelernährung wirkt ein Leben lang nach
Um etwas gegen die Mangelernährung zu tun, hat die Caritas Venezuela im ganzen Land Ernährungszentren aufgebaut. 18.890 Kinder konnten so bislang untersucht und behandelt werden. 12.000 Kinder wurden mit Zusatzernährung versorgt, darunter auch die beiden Töchter von Yusmarely Acuña. Die Ernährungsberaterin der Caritas Venezuela, Susana Raffalli, weist auf die Bedeutung dieser Hilfe hin: „Für tausende Kinder werden die Schäden, die von chronischer Mangelernährung verursacht werden, irreversibel sein. Ihre physische und intellektuelle Leistungsfähigkeit wird immer begrenzt bleiben, wenn wir den Kindern nicht helfen.“ 54 Prozent der Kinder haben sich den Statistiken zufolge nach der Behandlung in den Caritas-Zentren erholt.
Letzter Ausweg: Flucht in die Nachbarländer
Statt auf Hilfe zu warten, haben jedoch mehr als drei Millionen Venezolaner aus Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit das Land bereits verlassen. Caritas und der Flüchtlingsdienst der Jesuiten stehen diesen Menschen in Kolumbien, Peru, Ecuador und Brasilien zur Seite. Einer der Brennpunkte ist die Stadt Cúcuta an der venezolanisch-kolumbianischen Grenze, wo derzeit 23.000 Menschen geholfen wird, darunter viele Schwangere, stillende Mütter und Kleinkinder. Sie erhalten etwas zu essen, ein Dach über dem Kopf und medizinische Hilfe. Viele von ihnen nehmen auch die juristische Beratung in Anspruch, um ihre Fragen zu klären: Habe ich einen Anspruch auf staatliche Hilfe? Erhalte ich Asyl? Wo und wie kann ich mich und meine Familie als Flüchtlinge registrieren? Aber auch die psychologische Beratung wird oft genutzt. Denn die Flucht ist eine extreme Belastung.
Suppenküche versorgt auch Lehrer
Für diejenigen, die in Venezuela bleiben, bieten die Suppenküchen der Caritas eine Entlastung. Karmelitenbruder Christobal Dominguez kocht mit seinem Team jede Woche für 500 Menschen. Mittlerweile läuft die Suppenküche auch freitags für die Lehrer, Bediensteten und Familienangehörigen der katholischen Schule des Ortes. Er befürchtet, dass sonst noch mehr Lehrer das Land verlassen werden. „Schon jetzt haben viele Jugendliche das Gefühl, dass das Land ihnen keine Möglichkeit bietet, etwas aus ihrem Leben zu machen. Das ist sehr bedauerlich.“
So wie im Team von Pater Cristobal engagieren sich im ganzen Land immer mehr Menschen ehrenamtlich, um der Misere etwas entgegenzusetzen. Sie wollen nicht einfach nur zusehen, wie das Leben täglich schlechter wird, wollen ihre Heimat aber auch nicht verlassen. 20.000 Freiwillige engagieren sich landesweit bei Caritasverbänden, um dem Verfall des Landes nicht ohnmächtig gegenüber zu stehen.
Es sind Menschen wie die Ärztin Luisa Carlota Castillo Rojas. Sie wiegt die Kinder, misst ihre Körpergröße und schaut nach dem allgemeinen Befinden. „Ich will meinen Teil dazu beitragen, die Unterernährung der Kinder zu bekämpfen und wenn möglich zu stoppen. Wenn uns das gelingt, dann verhindern wir, dass die Jungen und Mädchen womöglich lebenslang unter einer kognitiven Beeinträchtigung zu leiden haben. Dann tragen wir dazu bei, dass sie eine Zukunft haben und sich einmal ihr Brot selbst verdienen können. Das ist jede Anstrengung wert.“
Dann dreht Luisa Rojas sich um und beugt sich über das nächste Baby.