Kolumbien: Hoffnung auf ein besseres Leben
Fast zwei Millionen venezolanische Migranten und Migrantinnen leben inzwischen in Kolumbien. Ihr größtes Problem ist, dass sie illegal sind. Sie haben keinen geregelten Aufenthaltsstatus. Deshalb erhalten sie keine Arbeitsgenehmigung und werden leicht ausgebeutet. Frauen prostituieren sich, um sich und ihre Kinder zu ernähren. Die Kinder gehen nicht zur Schule, weil das Geld für Schuluniformen, Hefte und Bücher fehlt. Sie gehen stattdessen betteln.
Täglich kommen zahlreiche Venezolaner und Venezolanerinnen über die offiziellen oder inoffiziellen Grenzübergänge nach Kolumbien. In den vergangenen fünf Jahren haben gut 17 Prozent der Bevölkerung Venezuela verlassen - auf der Suche nach Jobs und einem besseren Leben.Foto: Andrea Puentes
Diesem Teufelskreis aus Armut, Gewalt und Ausbeutung stellen sich viele helfende Hände entgegen. Caritas international unterstützt die Arbeit des Jesuiten Flüchtlingsdienstes (JRS) in Cúcuta, der siebtgrößten Stadt Kolumbiens. In Cúcuta sind allein vier Jurist_innen damit beschäftigt, venezolanischen Migrant_innen dabei zu helfen, ihren Aufenthaltsstatus zu klären. Die JRS-Kolleg_innen organisieren auch ganz praktische Hilfen für die Bewohner und Bewohnerinnen in den provisorischen Siedlungen am Rande der Stadt. In Cúcuta allein gibt es rund 20 dieser inoffiziellen Viertel, in denen schätzungsweise 13.000 Menschen leben. Die große Mehrheit sind Migrant_innen und Geflüchtete aus Venezuela, darunter viele Minderjährige. Aber auch kolumbianische Binnenvertriebene wohnen in den Wellblechhütten. Die Zustände in den Siedlungen sind oft miserabel.
So sieht ein "normales" Haus in der Flüchtlingssiedlung Nueva Alianza in Cúcuta, Kolumbien, aus. Die Wellblechplatten halten nur das Gröbste ab. Die Bewohner_innen sind den Stürmen, Hitze und Kälte beinahe schutzlos ausgeliefert.Foto: Andrea Puentes
Wie wir helfen
Gemeinsam mit der Partnerorganisation JRS setzt sich Caritas international für venezolanische Geflüchtete und Migrant_innen in Kolumbien ein. Die Unterstützung geht über die humanitäre Hilfe - wie beispielsweise Versorgung mit Lebensmitteln, Medizin oder regelmäßige Gesundheitscheckups - hinaus. Die humanitären Helfer_innen vor Ort beraten die Migrant_innen und setzen sich für ihre Rechte ein. Ziele sind langfristig bessere Lebensbedingungen und mehr Chancen, vor allem durch Bildung. Die Art der Hilfen sind dabei so vielfältig wie die Menschen, an die sie sich richten. Zusammenfassend kann man von diesen drei Schwerpunkten sprechen:
Beratung und Bildung
- juristische Beratung, psychosoziale Betreuung und Gesundheitsversorgung für Migrant_innen
- Übernahme der Mietkosten in den Flüchtlingssiedlungen - bis zu drei Monate lang.
- Finanzielle Unterstützung für Lebensmittel, Schulsachen und Transportmittel für den Schulweg, z.B. Fahrräder
- Nachhilfekurse für Kinder
Integration und Prävention
- Präventionspläne, um Menschenhandel, sexueller Ausbeutung oder Fremdenfeindlichkeit vorzubeugen
- Schutzräume für Kinder schaffen: zu Hause, in der Schule und in der Gemeinde
- Schulungen zum Thema Kinderschutz
- Verbesserte Ausstattung in den Schulen
Advocacy und Lobbying
- Dialogförderung und Mobilisierung öffentlicher Einrichtungen auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene, ...
- ... um auf die sozialen Bedürfnisse der Migrant_innen, Geflüchteten und Rückkehrer_innen aufmerksam zu machen
- Unterstützung für Aufnahmegemeinden
Eine Mitarbeiterin von JRS registriert die wartenden Frauen und Kinder. Die Partnerorganisationen von Caritas international bietet in den Flüchtlingssiedlungen regelmäßig Weiterbildungskurse und Gesundheitschecks für die Einwohner_innen an.Foto: Andrea Puentes
Hintergrund: Warum kommen so viele Venezolaner und Venezolanerinnen nach Kolumbien?
Die Migrationswellen haben politische, wirtschaftliche und soziale Gründe. Zwischen 2014 und 2015 stieg die Zahl der venezolanischen Migranten und Migrantinnen, die nach Kolumbien kamen, kontinuierlich an. Zuerst verließen wohlhabende Unternehmerfamilien wegen politischer Verfolgung oder der Verstaatlichungspolitik ihr Land, dann traf die Wirtschaftskrise 2015 alle Teile der venezuelischen Bevölkerung hart. 2018 schlitterte das Land in eine Hyperinflation und die Grundversorgung wurde immer schwieriger. Vielen Familien mit geringerem Einkommen blieb nichts anderes übrig, als ihre Heimat zu verlassen und sich in dem Nachbarland Kolumbien einen Job zu suchen.
Zur Situation:
Laut einer landesweiten Erhebung der Lebensbedingungen in den Jahren 2019-2020 ist Venezuela das ärmste Land Lateinamerikas. 74 Prozent der Haushalte sind von mäßiger und schwerer Ernährungsunsicherheit betroffen. Dreißig Prozent (639.000) der Kleinkinder unter fünf Jahren sind chronisch unterernährt.
Nach Angaben der R4V-Plattform* haben bis zum 5. August 2021 insgesamt über 5.6 Millionen venezolanische Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten ihr Land verlassen, die große Mehrheit von ihnen lebt jetzt in direkten Nachbarländern und der Karibik. Bei einer Gesamtbevölkerung von 33 Millionen Menschen bedeutet das, dass in den vergangenen fünf Jahren gut 17 Prozent der Bevölkerung Venezuela verlassen haben.
Viele Venzolaner_innen zieht es in Kolumbiens Städte, weil sie hoffen, dort einen Job zu finden. Doch auch viele Kolumbianerinnen und Kolumbianer haben zum Leben zu wenig. Die Stadt Cúcuta, beispielsweise, hat 777.106 Einwohner und ist mit 20,5 Prozent die Stadt mit der dritthöchsten Arbeitslosigkeit in Kolumbien (Stand: Juni 2021). Sieben von zehn Menschen in Cúcuta arbeiten informell, d.h. ohne vertragliche Grundlage, ohne festes Einkommen und ohne gesetzlichen Schutz. Fünf von zehn Einwohner_innen Cúcutas sind arm und zwei von zehn leben in extremer Armut. 12 Prozent der Einwohner_innen Cúcutas sind ursprünglich aus Venezuela, 49.600 sind kolumbianische Binnenflüchtlinge.