Yanette Bautista, Leiterin des Caritas-Projektpartners Stiftung Nydia Erika Bautista.Foto: Holger Vieth, Caritas international
Die Stiftung Nydia Erika Bautista ist in den neunziger Jahren gegründet worden und arbeitet seither Fälle auf, in denen in Kolumbien Menschen entführt worden sind und die niemals wieder auftauchten. Die direkte deutsche Übersetzung dieser Verbrechen als „erzwungene Verschwundenenfälle“ klingt verharmlosend. In den meisten Fällen ist davon auszugehen, dass die Entführten getötet wurden. Diese Taten wurden von verschiedene Gruppen begangen, manche davon tun es noch heute: Paramilitärs, Guerilla, kriminelle Banden und auch reguläre Streitkräfte.
Gemeinsam mit Caritas international unterstützt die Stiftung Angehörige verschwundener Personen bei der Wahrheitsfindung und der Einforderung ihrer Rechte. Geleitet wird die Stiftung von Yanette Bautista, deren Schwester Nydia Erika Bautista vor vielen Jahren verschwunden ist. Nach ihr ist die Stiftung benannt.
Die sogenannten „desaparaciónes forzadas“ wurden in dem mehr als fünfzigjährigen Konflikt in Kolumbien immer wieder eingesetzt, um die Bevölkerung einzuschüchtern. Gemäß dem Centro Nacional de Memoria Histórica (CNMH) gelten rund 80.500 Menschen in Kolumbien als verschwunden. In der Öffentlichkeit wird darüber wenig berichtet und die betroffenen Familien erhalten kaum Unterstützung.
Behörden arbeiten nur schleppend
Der 2017 unterzeichnete Friedensvertrag enthält einen Passus zur Aufarbeitung dieser Verbrechen. Dafür wurden eine Sondergerichtsbarkeit sowie eine Wahrheitskommission und eine Abteilung zur Suche der verschwundenen Personen eingerichtet. Doch die Arbeit dieser Einrichtungen kommt nur schleppend voran. Die Behörden bleiben meist untätig und die Ermittlungen werden blockiert. Derweil wächst die Zahl der verschwundenen Personen weiter an: Immer häufiger werden nun Frauen und Mädchen entführt, oft im Zusammenhang mit sexueller Gewalt. Personen, die sich für Menschenrechte einsetzen, sind meist in großer Lebensgefahr.
Interview mit Yanette Bautista über das Verschwindenlassen und die Zukunft Kolumbiens:
Wie wir helfen: Familien und Frauen begleiten und stärken
Das Projekt, das Caritas international gemeinsam mit der kolumbianischen Stiftung auf den Weg gebracht hat, soll Frauen und betroffene Familien in der Wahrnehmung ihrer Rechte stärken und so langfristig zum Friedensprozess beitragen.
In verschiedenen Workshops erhalten die Frauen und Familien Kenntnisse, die sie brauchen, um ein Verfahren bei den Behörden einzuleiten und daran aktiv teilzunehmen. Bei den Begegnungen mit den Behörden der Sondergerichtsbarkeit, der Wahrheitskommission und der Abteilung zur Suche der verschwundenen Personen werden sie begleitet und unterstützt.
Parallel dazu analysieren Fachexpert_innen Fälle von verschwundenen Personen, dokumentieren diese und erstellen Tatmuster. Die dokumentierten Fälle werden dann zur Aufarbeitung an die Behörden weitergeleitet. Die Caritas und die Stiftung nehmen aktiv die Interessensvertretung der betroffenen Familien vor den Behörden, in der Öffentlichkeit und Politik wahr und arbeiten dabei auch mit anderen Netzwerken, Menschenrechtsorganisationen und Opfervertretungen zusammen. Immer wieder werden auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stiftung selbst Opfer von Drohungen, Beschimpfungen und Drangsalierungen.
Friedensförderung als zentrale Aufgabe
Den Frieden in Kolumbien aktiv zu fördern ist der Caritas ein grundsätzliches und großes Anliegen. Seit 2013 unterstützt Caritas international deshalb die lokale Caritas in Kolumbien mit verschiedenen Projekten zur nachhaltigen Friedensentwicklung. Hierbei geht es vor allem um die gesellschaftliche und politische Teilhabe der Bevölkerung: Die Menschen erwerben Kompetenzen und Kenntnisse, mit denen sie ihre eigenen Rechte einfordern können - sie sollen wissen, welche Rechte sie gegenüber dem Staat geltend machen können und welche Pflichten die Verwaltung zu erfüllen hat. Außerdem lernen sie, wie ein friedliches Zusammenleben funktioniert und Konflikte untereinander gewaltfrei gelöst werden.
Fachkräfte unterstützen die Bevölkerung ländlicher Gemeinden, insbesondere deren Führungskräfte, und stärken die Widerstandsfähigkeit der Menschen. Beispielsweise werden gemeinsam geeignete Maßnahmen erarbeitet, um sich vor den Gefahren durch bewaffnete Akteure zu schützen oder die Gemeinden bei der Aufarbeitung erlebten Unrechts zu unterstützen. Es geht hierbei beispielsweise um Wahrheitsfindung, Versöhnung und Entschädigungen für die Opfer. Ziel aller Maßnahmen ist es, die gewaltfreie Umsetzung des Friedensvertrages und die Aufarbeitung der Vergangenheit bestmöglich zu fördern.
Zur Situation
Der Friedensvertrag, den die Regierung und die Guerillaorganisation FARC im November 2016 gemeinsam unterzeichneten, war ein erster Schritt zur Beendigung des über fünfzig Jahre dauernden Konfliktes in Kolumbien. Ein Konflikt, der mehr als 220.000 Menschen das Leben kostete und mehr als sieben Millionen Menschen von ihrem Land vertrieben hat. Trotz Friedensvertrag kommt es jedoch weiterhin zu Gewalt, gezielten Morden und Vertreibungen. In den ehemaligen FARC-Gebieten entstand ein Machtvakuum, das die Regierung weder gesellschaftlich noch militärisch schließen konnte. Bewaffnete Akteure und Guerillagruppen kämpfen um die Kontrolle in Regionen, die meist strategisch wichtige Punkte im Drogenanbau und -handel sind. Die Leidtragenden sind die Bevölkerung und Aktivisten, die Menschenrechte einfordern und sich für gerechtere Landverteilung, die Interessen der Indigenen oder Umweltthemen einsetzen. Laut der kolumbianischen NGO Indepaz wurden allein zwischen November 2016 und November 2021 insgesamt 1.270 Menschenrechtsaktivisten ermordet.