Keine Gewalt gegen Frauen und Mädchen
Indonesien: Opfer häuslicher Gewalt und deren Familien finden Schutz in einem Frauenhaus und werden psychologisch begleitet. Das Schutzhaus unserer Partnerorganisation in Flores ist immer über 100 Prozent ausgelastet. Foto: Caritas international / Holger Vieth
Im Zuge der Corona-Pandemie herrschen in vielen Ländern Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen. Vielerorts können Frauen das Haus nur eingeschränkt verlassen, viele haben ihre Arbeit verloren und die Familien sind stark belastet. Akute finanzielle Nöte der Familien und die Unsicherheit über die Zukunft begünstigen Stress und damit das Gewaltpotenzial gegenüber Kindern und Frauen.
Insbesondere häusliche Gewalt hat durch den Lockdown weltweit zugenommen, ob physische Gewalt, psychische Gewalt oder sexuelle Gewalt. Die Zahlen zu Gewalt an Frauen sind bestürzend, in Deutschland ebenso wie weltweit. Ein britisches Hilfswerk, das eine Hotline für Gewaltopfer unterhält, konnte eine Steigerung der Anrufe um 700 Prozent an einem einzigen Tag registrieren.
Zunahme an Übergriffen während des Lockdowns
In Argentinien nahmen die Hotline-Anrufe in der ersten Woche der Quarantäne um 70 Prozent zu. In vielen lateinamerikanischen Staaten sind ähnliche Zahlen registriert worden. Liberia meldet 600 Vergewaltigungsfälle zwischen Januar und Juni - ein Anstieg von rund 50 Prozent. Die UN-Mission MINUSCA in der Zentralafrikanischen Republik berichtete über einen Anstieg von 27 Prozent der Fälle von Vergewaltigung und 69 Prozent mehr Fälle, in denen Frauen und Kinder verletzt wurden.
Seit im Juni in Nigeria zwei junge Frauen vergewaltigt und getötet wurden, wird dort öffentlich über die steigenden Risiken sexueller Gewalt an Frauen aufgrund der Ausgangssperren gesprochen. Lokale Medien in Kenia berichten, dass rund 4.000 Schulmädchen in eben der Zeit schwanger wurden, in der die Schulen während des landesweiten Lockdown geschlossen blieben. Vergleichbare Anstiege unter den Teenagerschwangerschaften berichtet Uganda. Die mutmaßlichen Vergewaltiger sind in den meisten Fällen im häuslichen Umfeld und in der Nachbarschaft auszumachen.
Je besser die Infrastruktur und je stärker die Institutionen sind, die sich um Gewaltopfer kümmern, desto genauer lässt sich der Anstieg der Gewalt während des Lockdowns in Zahlen fassen. Weniger hört man bislang aus Regionen, die keine oder nur geringe Mittel haben, um Frauen zu schützen und zu betreuen. Das heißt allerdings nicht, dass sie nicht ebenso betroffen sind. Frauen und Mädchen zum Beispiel in ländlichen Regionen in Indonesien oder Eritrea, die in ihrem Umfeld erst gar keinen Zugang zu einer Hotline oder einer Einrichtung haben, tauchen in den Statistiken nicht auf.
Gewaltrisiko steigt mit Corona
Durch Quarantäne und finanzielle Sorgen entsteht Stress, der häusliche Gewalt auslösen oder verschlimmern kann. Wenn es zu häuslicher Gewalt kommt, so sind derzeit die betroffenen Frauen weniger als sonst in der Lage, sich an Verwandte oder Vertraute zu wenden oder auch an öffentliche Stellen. Sie sind mehr oder weniger gezwungen, bei ihren gewalttätigen Partnern zu bleiben. Das Problem von Gewaltübergriffen im familiären oder vertrauten Umfeld ist weithin ein Tabuthema. Sexuelle, physische uns psychische Gewalt wird durch die Ausgangssperren umso mehr in den privaten Raum und in die Unsichtbarkeit verdrängt.
Die Direktorin von UN Women, Phumzile Mlambo-Ngcuka forderte anlässlich der Aktion zur Beseitigung der Gewalt von Frauen (16 Tage Aktion) die Staats- und Regierungschefs weltweit auf, konkrete Maßnahmen zu ergreifen und damit der Verpflichtung nachzukommen, aktiv zur Beendigung der Gewalt gegen Frauen beizutragen.
Arbeit mit und für die Gewaltopfer
Die Caritas unterstützt in Argentinien, Indonesien, Kolumbien, Kenia, Indien und dem Libanon Frauen und Mädchen, die Gewalt erfahren haben. Die Opfer der Gewalt benötigen oft langfristige Unterstützung. Und zu einer weitsichtigen Prävention gehören auch die Stärkung von Familienzusammenhalt sowie die Sensibilisierung aller Mitglieder der Gesellschaft für ein gewaltfreies Zusammenleben.
Ein neues Leben für ehemalige Prostituierte in Bogotá
Genau wie viele andere Menschen in Kolumbien, hat der jahrzehntelange Bürgerkriegdie die Näherin Amparo Chambo in bittere Armut gestürzt. Amparo Chambo wurde so in die Prostitution getrieben und musste Schlimmes ertragen: Gewalt, Vergewaltigungen, ungewollte Schwangerschaften.
Gewalt gegen Frauen und Mädchen hat viele Gesichter
Weltweit finden jedes Jahr zwischen dem Internationalen Tag zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen am 25. November und dem Internationalen Menschenrechtstag am 10. Dezember Aktionen gegen die Gewalt an Frauen statt. In welches Land und auf welchen Kontinent man auch schaut: Gewalt gegen Frauen und Mädchen hat viele Gesichter, von der Belästigung auf der Straße oder am Arbeitsplatz über alltägliche sexuelle Anmache, psychische und/oder körperliche Verletzung und Misshandlung bis hin zum sexuellen Missbrauch.
Oftmals sind ökonomische Ungleichheit, Abhängigkeiten vom (Ehe-)Partner oder der Familie und die Verletzung elementarer Menschenrechte wie z.B. die Verweigerung von Bildung, Selbstbestimmung und Eigenständigkeit der Ausgangspunkt für die physische und psychische Gewalt, die Frauen erfahren. Die Palette der Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist groß: Missbrauch, Frauenhandel, Verschleppung und Vergewaltigung, Zwangsheirat, Zwangsprostitution sowie das Verschwindenlassen und die absichtliche Tötung einer Frau, weil sie eine Frau ist.
Nach wie vor wird das Thema tabuisiert. Gewaltförmige Übergriffe und Angriffe auf die Körper, die Persönlichkeit und damit die Gesundheit von Frauen sind weltweit nicht weniger geworden, seit die Vereinten Nationen im Jahre 1999 den Internationalen Tag zur Beseitigung der Gewalt an Frauen ausgerufen haben. In vielen Ländern, in denen Frauen Rechte verweigert werden, machen Betroffene bereits seit 1991 alljährlich mit einer Aktion auf die Problematik und Notwendigkeit von Gewaltprävention aufmerksam. Seit 1991 haben in über 150 Ländern bislang mehr als 4.000 Organisationen die internationale Kampagne unterstützt. Inzwischen haben sich auch in Deutschland, in der Schweiz und in Österreich landes- und städteweit Bündnisse gegründet, die zur Gewaltprävention aufrufen und ein Ende der Gewalt an Frauen und Mädchen fordern.
In allen Schichten, in jedem Alter
Gewalt gegen Frauen und Mädchen findet im privaten wie im öffentlichen Raum statt, hierzulande wie auch weltweit. Häusliche Gewalt kommt in jedem Alter und in allen sozialen Schichten vor. Der gefährlichste Ort für eine Frau sind nicht selten die eigenen vier Wände. Gewalt gegen Frauen und die psychischen Folgen beschränken sich nicht auf den individuellen Kreis der Betroffenen. Vielmehr hat die verübte und erlittene Gewalt von Frauen und Mädchen Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft.
Ehemalige Sexarbeiterin an ihrem Marktstand in NakuruFoto: Martina Backes / Caritas international
In allen Gesellschaften sind Frauen mehr oder weniger stark geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt, unabhängig von Einkommen, Gesellschaftsschicht und Kultur. Gebräuche, Traditionen oder religiöse Erwägungen rechtfertigen keine Gewalt gegen Frauen.
In Deutschland und weltweit
Eine im November 2020 veröffentlichte Auswertung des Bundeskriminalamts (BKA) zum Thema Partnerschaftsgewalt in Deutschland zeigt, dass jede dritte Frau mindestens einmal in ihrem Leben Gewalt erlebt. Zudem versucht, statistisch gesehen, jeden Tag ein Mann in Deutschland eine Frau umzubringen. An jedem dritten Tag gelingt ihm das.
Auch die repräsentative Studie der Europäischen Grundrechteagentur von 2014 zum Ausmaß von Gewalt gegen Frauen in Europa zeigt deutlich, dass das Ausmaß von Gewalt gegen Frauen in Deutschland enorm hoch ist. Der Bericht der Agentur, der die Ergebnisse der weltweit größten Erhebung über Gewalt gegen Frauen vorstellt, prangert an, dass Frauen weltweit endlich besser vor Gewalt geschützt werden müssen.
Besser vorsorgen, besser schützen
Letzteres ist in der Arbeit unserer Projektpartner in vielen Ländern immer wieder ein dringendes Thema. Gerade in armen Gesellschaften sind die Gefahren von Mädchenhandel, (Zwangs-)Prostitution und Missbrauch in Familien, in denen die Menschen keine Zukunftsperspektive mehr sehen, naheliegend. Es gibt keine Sicherheit in einer Familie, einem Dorf, einer Stadt, einem Land, in dem eine Frau in einer Beziehung vor ihrem Partner nicht sicher ist und, wenn sie sich wehrt und mit anderen darüber spricht, nicht ernst genommen wird. Die Eskalation der Gewalt von der Demütigung bis zum körperlichen Übergriff ist als Folge der Abwertung einer Frau zu sehen. Möglichst früh eingreifen, um die Eskalation zu verhindern heißt auch, gegen vermeintlich kleine sprachliche Demütigungen vorzugehen und diskriminierende Geschlechterbilder mit Bildung und Aufklärung zu revidieren.
Frauenrechte sind Menschenrechte
In einer Krise wie sie derzeit die Menschen auf der Flucht erleben, kommt es besonders schnell und häufig zu geschlechterspezifischer Gewalt. In Kriegen oder auch nach Großkatastrophen wie Erdbeben und Überschwemmungen sind Frauen einer größeren Gefahr ausgesetzt, ebenso in diktatorischen Gewaltregimen und Bürgerkriegsregionen. Zum Beispiel, weil hier keine Schutzvorkehrungen existieren oder nicht funktionieren.
Die Arbeit von Caritas international und unseren Projektpartnern mit den von Gewalt betroffenen Frauen und Mädchen will sie stärken und ihnen Wege aufzeigen, Traumata zu überwinden und Eigenständigkeit sowie soziale Sicherheit wiederzuerlangen. Die Familien und die Gesellschaft im Umfeld der Opfer werden über Gewalt und ihre Folgen, über Gewaltvorsorge und Konfliktlösungen aufgeklärt. Diese Sensibilisierungsarbeit zielt auf ein friedliches Mit- und Nebeneinander der Geschlechter, weg von einem Gegeneinander und weg von einer gewalttolerierenden Atmosphäre.
Text: Martina Backes
Nakuru, Kenia: Ehemalige Sexarbeiterinnen organisieren sich in Selbsthilfegruppen und machen eine Kehrtwende. Sie kämpfen um ihre Würde und beraten junge Frauen, die aus dem Geschäft aussteigen wollen.