
Ein Beitrag von Lukas Müller
Referent für Äthiopien
24. Juni 2025 / Lesedauer: 3 Minuten
Caritas international: In Regionen wie Südäthiopien, Nordkenia oder Somalia gab es ja schon immer Trockenperioden und ausfallende Regenzeiten. Wie begegnen die Menschen dort diesen Bedingungen und was ist heute anders?
Lukas Müller: Stimmt, Trockenzeiten gehören immer schon zum Leben der überwiegend als Viehzüchter lebenden Bevölkerung in der Region. Die Viehherden sind für die Familien Lebensgrundlage und Sicherheitsnetz zugleich. Tierprodukte wie Fleisch und Milch sind wichtig, aber die Tiere sind vor allem Kapital: Wenn Geld benötigt wird, werden sie verkauft. Funktionierende Märkte vorausgesetzt - und genau die brechen während großer Dürren oft zusammen. Was wir nun in den letzten 10 bis 20 Jahren beobachten, ist etwas anderes: Die Regenzeiten fallen zum Teil mehrere Jahre hintereinander komplett aus. Fünf oder sechs ausgefallene Regenzeiten in Folge, das hat es früher so nicht gegeben und das ist dann nicht mehr zu bewältigen. Diese neuen Extreme stehen ganz klar im Zusammenhang mit dem Klimawandel.
Wie lange halten Familien solche Bedingungen durch? Wann kippt die Lage?
Müller: Die Menschen vor Ort sind äußerst widerstandsfähig. Durch das Leben von der Viehzucht sind viele an eine saisonale Migration gewöhnt - also mit der Herde von einer Region in eine andere zu ziehen, wo es noch Wasser oder Futter gibt. Aber das funktioniert nur, solange nicht zu viele Regionen gleichzeitig von der Dürre betroffen sind. Wenn sich die Trockenheit über große Flächen ausdehnt, stoßen die Menschen und ihre Tiere an physische und logistische Grenzen.
Gibt es außer der Hilfe von außen Mechanismen, mit denen sich Gemeinschaften selbst helfen?
Müller: Ja klar, Solidarität ist ein zentraler Wert in der Region. Informationen über noch verfügbare Wasserstellen oder Weideflächen werden sehr schnell geteilt. Aber auch diese Reserven sind endlich. Schon nach zwei aufeinanderfolgenden extremen Trockenperioden geraten viele Familien bereits in akute Not. Dann sterben erst die Tiere, später steigt auch die Sterblichkeit unter den Menschen.
Und wie können betroffene Haushalte nach einer großen Krise wieder auf die Beine kommen und ihre Existenz sichern?
Müller: Da kommt der Wiederaufstockung der Viehherden eine zentrale Rolle zu. Eine klassische Maßnahme für eine Familie besteht aus der Bereitstellung von fünf Schafen - vier weiblichen und einem männlichen Tier. Der Reproduktionszyklus der Tiere dauert dann in etwa fünf Monate. Unter optimalen Bedingungen kann sich die Herde damit jährlich verdoppeln. Doch das setzt voraus, dass die Menschen nicht gezwungen sind, die Tiere zu verkaufen, um sich selbst zu ernähren und zunächst ist das ohne begleitende Nothilfe in Form von Nahrungsmitteln und Wasser kaum möglich. In der Folge dauert es im Idealfall vier bis fünf Jahre, um wieder das Niveau vor einer langen Krise mit mehreren ausfallenden Regenzeiten zu erreichen.
Was kann man tun, um auf künftige Dürren und Extremwetterereignisse, die bedingt durch den Klimawandel häufiger auftreten werden, besser vorbereitet zu sein?
Müller: Da spielen natürlich viele Komponenten hinein. Der Ausbau der Wasserinfrastruktur ist wichtig, aber das ist nicht in allen Regionen so einfach möglich. Dennoch ist da auch in unseren Projektgebieten schon wahnsinnig viel erfreuliches passiert und der Zugang zu Wasser für Mensch und Tier wurde erleichtert. Dann spielen auch Frühwarnsysteme eine Schlüsselrolle. Wichtig ist, frühzeitig zu erkennen, wo erste Anzeichen für Notlagen auftreten - z.B. in abgelegenen Gemeinden. Dann kann dort gezielt Hilfe geleistet werden, etwa durch Bereitstellung von Tierfutter, Wasser oder medizinischer Versorgung. Außerdem können andere Gebiete bereits auf eine zu erwartende Dürreperiode gut vorbereitet werden. Dazu fördern unsere Partnerorganisationen auch die Schaffung von alternativen Einkommensquellen, die teilweise unabhängig von den klimatischen Bedingungen sind.
Und ist der Zugang zu Bildung nicht der Schlüssel für die nächste Generation?
Müller: Da würde ich eher entgegnen, dass der Zugang zu Wasser überhaupt erst den Zugang zu Schulen und Universitäten ermöglicht. Wasserholen ist meist Aufgabe von Frauen und Kindern - vor allem von Mädchen. Wenn die Wege kürzer sind und der Durchfluss an der Wasserstelle besser ist, bleibt mehr Zeit für die Schule. Es gibt also einen direkten Zusammenhang zwischen Wasserverfügbarkeit und Bildungszugang. Bildung leidet oft nicht, weil Schulen fehlen - sondern weil Zeit fehlt.
Das Interview führte Florian Fromm.
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