Zur politischen und humanitären Lage im Kongo
In der DR Kongo wurde im Dezember 2018 gewählt. Der langjährige Präsidenten Joseph Kabila wird abtreten und hat die Wahlniederlage seines Bündnisses eingestanden, nachdem er Neuwahlen über Monate verschleppt hatte. Der immense Druck der internationalen Gemeinschaft und vor allem der Druck von zivilgesellschaftlichen Gruppen und Kirchenverbänden gegen eine dritte Kandidatur Kabilas haben einen demokratischen Wandel eingefädelt.
Viele Beobachter fürchteten dennoch weitere Unruhen im Kongo. Inzwischen hat Félix Tshisekedi, der nach Angaben der Wahlkommission die Wahl gewonnen hat, sein Amt angetreten. Ein weiterer Gegenkandidat der Opposition, Martin Fayulu, erkennt die Wahlergebnisse nicht an, die jedoch Mitte Januar vom Verfassungsgericht nochmals bestätigt wurden.
Indes waren Sondergesandte der Afrikanischen Union im Kongo, die ebenfalls Zweifel an der Richtigkeit der Wahlergebnisse hegten. Hinzu kommt, dass wegen Unruhen und einer Ebola-Epidemie in einigen Regionen die Wahl nicht stattfand. Dort konnten 1,25 Millionen Stimmberechtigte ihr Votum nicht abgeben. Sie sollen nun im März 2019 die Möglichkeit der Wahl erhalten. Inzwischen hat die EU als wichtiger Partner des Kongo die Wahlergebnisse anerkannt, zudem die Nachbarstaaten Uganda, Tansania und Kenia.
Demokratischer Machtwechsel
Trotz der Ungereimtheiten nach der Wahl stellt der Machtwechsel in der Demokratischen Republik Kongo einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg zu einem demokratischen Wandel dar. Denn es ist das erste Mal, dass der Führungswechsel hier durch die Wahlurne bestimmt wird.
59 Jahre nach der Unabhängigkeit von Juni 1960 steht die Demokratische Republik Kongo allerdings vor einem Scherbenhaufen. Die Sicherheitslage ist prekär angesichts der kaum funktionierenden staatlichen Strukturen und mehrerer Dutzend Rebellengruppen, die schwer bewaffnet sind. Das Land zählt Ende 2018 über 4,5 Millionen Binnenflüchtlinge. Über 13 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Massive Menschenrechtsverletzungen, grassierende Korruption, und eine hohe Jugendarbeitslosigkeit sorgen für politische Unruhen. Insbesondere das Misstrauen der überwiegend jungen Bevölkerung in die Politik ist groß.
Politisch instabil
Die kongolesische Polizei und das kongolesische Militär gingen zuletzt Mitte 2018 teilweise gewaltsam und brutal gegen Regierungskritiker vor. Zu Jahresbeginn 2018 spricht die UN-Mission in dem zentralafrikanischen Land von mehreren Toten. Die Kirche hatte zu Protesten gegen die nicht mehr verfassungskonforme Amtszeit von Präsident Joseph Kabila aufgerufen. Die Amtszeit von Kabila endete offiziell bereits 2016, bis zur Wahl im Dezember 2018 regiert er ohne Mandat des kongolesischen Volkes. Das Internet wurde 2018 mehrmals "aus Gründen der staatlichen Sicherheit" abgeschaltet. Vor allem in Kinshasa und der Provinzhauptstadt Kananga in der Provinz Kasaï eskalierte die Gewalt. Hier kämpfen Rebellen und Sicherheitskräfte 2018 mit erneuter Härte gegeneinander. Tausende Menschen sind auf der Flucht.
Päpstliche Aufrufe zum Gewaltverzicht
Am 24. Januar 2018 appellierte Kardinal Monsengwo an die Sicherheitskräfte im Land, sich in Zurückhaltung zu üben, und auch Papst Franziskus rief erneut zum Gewaltverzicht auf. Radio Okapi hatte kurz zuvor aus Kinshasa, Kisangani, und Bukavu von Protesten berichtet. Von Toten, über 50 Verwundeten und über 100 Festnahmen.
"Warum müssen wir so viele Tote und Verwundete beklagen. Warum gibt es so viele Verhaftungen, Entführungen, Angriffe auf Kirchengemeinden und religiöse Gemeinschaften, Demütigung, Folter, Einschüchterung, Entweihung von Kirchen, das Verbot zu beten? Welche Verbrechen haben diese Christen und kongolesischen Bürger begangen?", fragen die Bischöfe des Kongo in ihrem Hilfs-Appell.
Die kongolesische Jugendbewegung LUCHA, Gewinner des Menschenrechtspreises "Botschafter des Gewissens" von Amnesty International 2017, demonstrierte 2018 für eine friedliche demokratische Wende. LUCHA (auf Deutsch: "Kampf für Veränderung") wurde von der Regierung Kabilas als aufständische Bewegung bezeichnet. Indes erklärte auch die Kirche regelmäßig, es sei wichtig, dass für neue Wahlen bald neue Kandidaten aufgestellt werden. Diese Proteste und der internationale Druck haben wesentlich zum Machtwechsel im Kongo beigetragen.
Humanitäre Langzeitkrise
Delphine ist mit ihren vier Kindern von Mushaki in ein Flüchtlingscamp nach Goma geflohen. Die Ernährungslage vieler Kinder ist bedrohlich.Taylor Kakala/Caritas Goma
Bewaffnete Konflikte und die langwährende politische Instabilität haben in der DR Kongo zu einer humanitären Langzeitkrise geführt.13 Millionen Menschen sind mittlerweile auf humanitäre Hilfe angewiesen. Viereinhalb Millionen Menschen mussten aufgrund der Gewalt ihre Heimat verlassen und sind innerhalb des Kongo auf der Flucht. Das sind so viele wie in keinem anderen afrikanischen Land. Mit mehr als 744.000 Binnenvertriebenen ist die Provinz Nord-Kivu im Osten des Landes am stärksten betroffen.
Auf dem Entwicklungsindex der Vereinten Nationen steht das Land trotz seines Reichtums an Bodenschätzen auf Platz 176 von 188 Ländern. Die Vereinten Nationen haben 2017 6.500 Menschenrechtsverletzungen registriert, ein Anstieg um 25 Prozent im Vergleich zum Vorjahr 2016.
Akute Unterernährung - wachsende Ernährungskrise
Neben dem Schutz vor Menschenrechtsverletzungen benötigen diese Menschen vor allem Unterstützung im Bereich Gesundheit und Ernährung: 7,7 Millionen sind von einer Ernährungskrise betroffen, 2,2 Millionen Menschen sind stark unterernährt. Die ständigen Vertreibungen, die generelle Unsicherheit und die militärischen Auseinandersetzungen ermöglichen es den Bewohnern nördlich von Goma nur unregelmäßig, ihre Felder zu bearbeiten. Über 2 Millionen Kinder sind landesweit von akutem Hunger betroffen (Stand 2019).
Allein in der Region Birambizo im Ostkongo leiden knapp 12 Prozent der Bevölkerung unter akuter Unterernährung. Die Caritas Goma schätzt, dass die Hälfte aller unterernährten Kinder infolge von Krankheiten mangelernährt sich, die über verunreinigtes Wasser übertragen werden. Sowohl vertriebene als auch rückkehrende Familien verfügen nicht über ausreichende Mittel, um ihre Existenz zu bestreiten. Sie sind - ebenso wie die Gemeinden, die Binnenvertriebene aufnehmen, auf externe Hilfen angewiesen.
Hintergrund
Im Osten der Demokratischen Republik Kongo, dem zweitgrößten Staates auf dem afrikanischen Kontinent, folgen seit 20 Jahren bewaffneten Konflikte und Bürgerkriege aufeinander. Das an Ressourcen reiche Land kommt hier nicht zur Ruhe: Rund 50 bewaffnete Gruppen sind derzeit allein im Osten des Kongo aktiv. Sie fechten Kämpfe um territoriale Machtansprüche und um die Kontrolle über natürliche Ressourcen aus.
Obwohl reich an Rohstoffen, zählt der Kongo zu den ärmsten Ländern der Welt. Die Kriegsökonomie der kämpfenden Gruppen basiert weitgehend auf dem Handel mit seltenen Mineralien aus den kongolesischen Bergbaugebieten. Weil es nur schwache staatliche und kommunale Strukturen in der Provinz Süd-Kivu und im Ostkongo gibt, sind die Rohstoffvorkommen und der Bergbau ständiger Brennpunkt der Kämpfe. Demokratische Entwicklungen werden immer wieder sabotiert.
Das Leben dazwischen
Seit Jahren bestimmen in den Ostprovinzen des Landes Kämpfe zwischen Milizen und Militärs, Plünderungen und Vergewaltigung den Alltag. Die Zeit seit den Kongokriegen 1996 ist von Entbehrung und für viele Menschen von einem Leben dazwischen bestimmt: zwischen Kriegen, zwischen Zelten, zwischen den Fronten, unterwegs von Dorf zu Dorf und in den Wäldern, immer wieder in Flüchtlingslagern - von denen es allein im Ostkongo über 50 gibt. Die Mehrzahl der Jugendlichen ist mit dem Krieg aufgewachsen, Zeiten des Friedens, Geborgenheit oder eine Perspektive mit Arbeit und eigener Familie kennen sie kaum. Unzählige haben nie eine Schule besucht.
So gibt es kaum eine Familie, die nicht schon einmal vertrieben war, für kürzer oder länger, die nicht in einem verwüsteten Dorf zurückgeblieben ist oder deren Angehörige in an Kriegshandlungen involviert waren, ob auf der Seite der Täter oder der Opfer. Auf der Suche nach einem Platz, an dem man ohne Angst und Schrecken leben kann, wandern viele Menschen bis heute ständig von einem Ort zum nächsten. Vertreibung, Unsicherheit aufgrund von Überfällen, Landstreitigkeiten und eine schwierige bis völlig unzureichende Versorgungslage erschwert es den Menschen, ihr eigenes Auskommen und eine sichere Existenz aufzubauen.
Von nichts kommt nichts
Die Infrastruktur ist in den Provinzen Süd- und Nord-Kivu fast völlig zerstört, nur ein Fünftel der Straßen ist asphaltiert. Die Inflationsrate in der Demokratischen Republik Kongo gehört zu den höchsten der Welt, und wer heute ein paar Shilling als Tagelöhner verdient, kann sich oft morgen oft schon keine Mahlzeit mehr davon leisten.
Schulen und ein öffentliches Gesundheitssystem sind kaum vorhanden. Viele der ohnehin sehr spärlich ausgestatteten Krankenstationen wurden infolge des Krieges zerstört. Es gibt durchschnittlich einen Arzt für 10.000 Menschen. Da sanitäre Einrichtungen, sauberes Wasser und Gesundheitsdienste Mangelware sind, sterben viele an leicht vermeidbaren Krankheiten wie Durchfall. 2017 ereignete sich die schlimmste Choleraepidemie seit 15 Jahren mit über 1.000 Todesfällen und 55.000 Erkrankungen.
Laut einer UN-Studie von 2011 haben rund 51 von 68 Millionen Menschen im Kongo keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Die Müttersterblichkeit ist ebenso wie die Säuglingssterblichkeit eine der höchsten weltweit. Denn es gibt oft keine Mahlzeit, keine gesundheitliche Vorsorge, keine Geburtshilfe. Zudem sind viele Frauen Opfer sexualisierter Gewalt. Die Verletzung des Rechtes auf körperliche Unversehrtheit hört oft mit dem Verbrechen nicht auf: Da sie stigmatisiert werden, leben sie in großer sozialer Unsicherheit.
Rückkehr mit Fragezeichen
Trotz der langjährigen Mission der Vereinten Nationen für die Stabilisierung in der Demokratischen Republik Kongo (MONUSCO), die zusammen mit der staatlichen Armee Rebellengruppen zu demobilisieren versucht, flammen immer wieder neue Kämpfe auf. Von Gewalt, Flucht und Vertreibung besonders betroffen ist die Provinz Nord-Kivu - die Gebiete Beni, Lubero, Walikale, Rutshuru und Masisi. Aufnehmende Gemeinden sind Bweru, Nyange, Kitso, Kalengera, Mpati und Bibwe.
Registrierung in einem Flüchtlingscamp in OstkongoSébastien Dechamps / SECATHO / Caritas international
Gleichzeitig lässt sich eine Rückkehrbewegung in die sicheren Herkunftsgemeinden beobachten. So beläuft sich die Zahl der Rückkehrer und Rückkehrerinnen im Nord-Kivu 2017 auf über 275.000 Menschen. Die rückkehrenden Familien verfügen jedoch kaum über die notwendigen Mittel, um ihre Existenz wieder aufzubauen. Sie sind damit, ebenso wie die Vertriebenen, von den aufnehmenden Gemeinden abhängig. Laut dem Koordinationsbüro für Humanitäre Hilfe der Vereinten Nationen sind über eine halbe Million Menschen in den aufnehmenden Gemeinden betroffen. So sind nicht nur die Vertriebenen und Rückkehrenden, sondern auch diejenigen, die in den Dörfern ausharrten, auf externe Hilfen angewiesen.
Januar 2019