Hauskrankenpflegerin Maria Kurivchak im Einsatz
Der Luftalarm scheint aus allen Richtungen zu kommen. Von jedem Turm oder höheren Gebäude schallen die Sirenen, ebenso aus den zahlreichen, an Straßenlaternen und Strommästen montierten Lautsprechern. Aber auch jedes Handy in jeder Hand-, Hosen- oder Manteltasche gibt gleichzeitig Alarm. Alle Ukrainerinnen und Ukrainer haben mittlerweile Apps auf ihren Smartphones, die sie vor Luftangriffen warnen und über die jüngsten Entwicklungen auf dem Laufenden halten.
Maria Kurivchak hat ihr Handy ebenfalls immer dabei. Sie ist Hauskrankenpflegerin der Caritas Lwiw und von morgens bis abends bei ihren Patientinnen und Patienten, die verstreut in der westukrainischen Großsttadt Lwiw leben. Besorgung von Lebensmitteln oder Medikamenten, Hilfe bei der Körperhygiene und Arztbesuchen oder Unterstützung im Haushalt – wenn der Krieg nicht wäre, wäre Maria Kurivchaks Alltag von dem der Hauspflegekräfte in Deutschland wohl kaum zu unterscheiden. Doch seit dem Februar 2022 hat sich vieles verändert. „Wenn die Sirenen losgehen, versuche ich zunächst herauszufinden, um was für einen Alarm genau es sich handelt. Wenn Raketen in unsere Richtung fliegen, suche ich einen Schutzraum auf“, erklärt Maria Kurivchak das Vorgehen bei Luftalarm. Sie weiß, dass ihre Patient_innen sie genau in diesen Momenten besonders brauchen. „Ich versuche dann, meine Patient_innen zu priorisieren: Wer braucht unbedingt sofort meine Unterstützung? Wer kann eventuell etwas länger auf mich warten?“
Bislang ist Lwiw aufgrund seiner Lage im Westen der Ukraine weitgehend von direkten Angriffen verschont geblieben. Dennoch verursacht der Krieg Stress. „Viele meiner Patient_innen fragen sich: Was wird morgen sein? Sie sind panisch, ob es Lebensmittel im Geschäft zu kaufen geben wird, ob Wasser aus dem Hahn kommt“, berichtet Maria Kurivchak. Sie versucht ihre Patient_innen dann zu beruhigen, verspricht ihnen, dass sie an ihrer Seite bleibe. „Viele benötigen schlicht Ansprache und das Wissen, dass jemand da ist, der sich um sie kümmert. Oft ist es das, was am wichtigsten ist und was ihnen mehr hilft als beispielsweise psychologische Hilfe“, weiß die erfahrene Pflegerin.
Ihre Arbeit ist härter geworden. Körperlich anstrengend war sie schon immer, doch jetzt kommt die psychische Belastung noch hinzu. Viele ihrer Patienten und Patientinnen sind stärker vom Krieg betroffen sind als sie selbst-, denn in Lwiw sind zahlreiche Vertriebene aus dem Osten des Landes untergekommen, unter ihnen auch viele Pflegefälle. Bei ihnen geht es auch darum, Anteil zu nehmen und ihnen zu zeigen, dass sie nicht alleine sind. „Es ist hart für diese Menschen, wenn sie ihre Heimat verlassen müssen. Sie gehen ins Unbekannte und wissen nicht, was sie in ihrer Zukunft erwartet“, fühlt Maria Kurivchak mit diesen Menschen mit.
Auch Natalia Prytula ist mit ihrer 96-jährigen Mutter nach Lwiw geflohen. Sie hätte sich niemals träumen lassen, dass sie ihre Heimat eines Tages verlassen müsse. Kurz nach ihrer Ankunft in Lwiw hat sich ihre Mutter bei einem Sturz den Oberschenkel gebrochen. Seit diesem Tag ist sie bettlägerig und auf die regelmäßigen Besuche von Maria Kurivchak angewiesen. „Ich schätze die Besuche von Maria sehr. Ich weiß nicht, wie wir es ohne sie schaffen würden“, sagt Natalia Prytula. Bevor sich Maria Kurivchak verabschiedet, zeigt ihr Natalia Prytula noch ein Video von ihrer zerstörten Heimatstadt Mykolajiw, das ihr ein Bekannter geschickt hatte. Ihr laufen die Tränen die Wangen hinunter. Die tröstende Umarmung der Caritas-Pflegerin ist an diesem Tag vielleicht genauso wichtig wie die Krankenpflege der Mutter kurz zuvor.
Maria Kurivchak weiß, dass sie mehr gebraucht wird denn je. „Dass ich bei der Caritas arbeite, bedeutet für mich, dass ich in der Lage bin, die Nöte der Menschen zu verstehen und ihnen so zu helfen, wie sie es brauchen.“