Arbeiten statt Schule, erwachsen werden, statt Kind bleiben dürfen. Realität in vielen Ländern dieser Erde, auch in Nepal.Foto: Bente Stachowske
Für viele Kinder in der ländlichen Region Nepals bieten sich kaum Perspektiven für die Zukunft. Meist leben sie mit ihren Familien in so großer Armut, dass sie zum Arbeiten in die Stadt oder auf das Feld geschickt oder, im Falle der Mädchen, früh verheiratet werden. Die Schule steht bei den Familien ganz weit hintenan und die wenigsten Kinder haben jemals eine besuchen können. Das „Erbe“ der Eltern anzutreten, die meist Kleinbauern sind und von der Hand in den Mund leben, ist für die Heranwachsenden kaum denkbar. Einige der 13-bis 14-Jährigen gehen darum von sich aus weg und suchen in der Stadt einen Job.
Das Erdbeben von 2015 hat die Situation verschärft: Noch heute leben viele Familien unter einfachsten Wellblechdächern, gleich neben ihren zerstörten Häusern. So wie die 67-jährige Rudra Kumari Adhikari mit ihren drei Enkelkindern.
Ohne Bildung, ohne ein sicheres Zuhause und allein unterwegs ist das Risiko sehr hoch, dass die Kinder in den Menschenhandel geraten, Missbrauch und Gewalt erfahren.
Im Distrikt Sindhupalchok waren Kinderhandel und Kinderarbeit schon vor der Katastrophe verbreitet. Gemäß dem Kinderreport des District Child Welfare Board (DCWB) gab es 2014/2015 rund 6.850 registrierte Fälle von Kinderarbeit und 2.289 Fälle von Kinderheirat im Alter unter 10 Jahre. Mit dem Erdbeben hat sich die Zahl der Opfer massiv erhöht. „Den Familien geht es so schlecht, dass sie ihre älteren Kinder weggeben, damit die in den größeren Städten Arbeit finden. Das bedeutet immer, dass sie die Schule nicht fortsetzen können“, so Alina Adhikari, Sozialarbeiterin für Child Nepal.
Zurück in die Schule...
Die 12-jährige Renuka ist froh, dass sie weiter zur Schule gehen darf. Eigentlich wollten die Eltern ihre Tochter verheiraten.Foto: Bente Stachowske
Besonders auffällig ist die Entwicklung in der Gemeinde Indrawati, weshalb Caritas international mit Child Nepal ein Projekt zum Schutz der Kinder initiiert hat. Die Organisation versucht so viele Kinder wie möglich wieder zurück zu ihren Familien und in die Schule zu bringen. Das bedeutet oft intensive Gespräche mit den Eltern, die von der Wichtigkeit einer abgeschlossenen Schulbildung überzeugt werden müssen. So bei der 12-jährigen Renuka, die schnellstmöglich verheiratet werden sollte, denn zu acht lebt die Familie seit dem Erdbeben in einer einfachen Hütte. Es ist kein Geld für den Aufbau des Hauses da und erst recht keines für die Schule. Child Nepal übernahm Renukas Schulkosten und half den Eltern bei der Anlage eines Gemüsegartens, der die Teller füllt und gleich noch die Haushaltskasse aufbessert.
Andere Kinder müssen zunächst gesucht werden, weil ihr Aufenthaltsort unbekannt ist: Der 14-jährige Sujan Pakhrin ging allein nach Kathmandu, um in einem Hotel Geld für sich und seine Familie zu verdienen. Die Eltern schlugen bei Child Nepal Alarm und baten um Hilfe. „Wir kooperieren mit der Polizei und haben an der Straße nach Kathmandu ein kleines Büro. Sujan haben wir nach fünf Tagen gefunden“, erzählt die Sozialarbeiterin.
...und Unterstützung der Eltern!
Es genügt nicht, die Eltern von dem Schulbesuch zu überzeugen, sie brauchen direkte Unterstützung und finanzielle Entlastung. Darum sind im Projekt Maßnahmen integriert, mit denen die Familien einen Lohn erwirtschaften können (Cash-for-Work). Warme Mahlzeiten in den Schulen, die Anlage von Gemüsegärten, kinderfreundliche und moderne Klassenzimmer mit IT-Anschluss, Stipendien, Rechtshilfe und Beratung sind weitere Anreize – für Eltern und Kinder.
Zur Situation
Das Erdbeben vom 25. April 2015 löste in Nepal eine humanitäre Krise unermesslichen Ausmaßes aus. Mit einer Stärke von 7,8 auf der Richterskala war es selbst noch in China, Bangladesch und Pakistan zu spüren. Das Epizentrum lag rund 80 Kilometer vor Nepals Hauptstadt Kathmandu. In den folgenden Tagen und Wochen kam es zu, teils schweren, Nachbeben. Mehr als 8.800 Menschen starben bei der Katastrophe, rund 22.300 wurden verletzt und fast 8 Millionen Menschen sind insgesamt betroffen. Rund vier Jahre danach ist der Bedarf an Unterstützung weiterhin hoch. Viele Menschen leben noch immer in Behelfsunterkünften, weil ihnen Geld für den Wiederaufbau ihrer Häuser fehlt. Die Rehabilitation wird durch neue Katastrophen erschwert, praktisch jedes Jahr kommt es während des Monsuns zu schweren Überschwemmungen. Die ökonomische Lage der Menschen ist prekär. Die, die von der Landwirtschaft leben, können ihre Felder nicht bestellen, weil Saatgut und Geräte fehlen. Die Kinder unterstützen ihre Eltern durch Arbeit, statt zur Schule zu gehen. Das bildet den Nährboden für Gewalt: In verschiedenen Regionen haben Kinderhandel und Missbrauch an Kindern markant zugenommen.
Juli 2018